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Vielen Dank, dass ich hier und heute die Ehre habe, einen Gastbeitrag zu schreiben und nicht wie gewohnt auf www.nordicfamily.de über meine Outdooraktivitäten berichte. Und meine neu entdeckte Leidenschaft für‘s Wandern und zwar für das Wandern längerer Strecken, ist ja auch mehr eine Aktivität unter der Kategorie „Nur die Mama!“
Während des Ostseeweges 2016 werde ich erstmals auf den Blog EarnYourBacon aufmerksam und bin erstaunt, wie viele Anhänger im echten Leben an Trainingswanderungen und persönlichen Treffen teilzunehmen scheinen. Das könnte etwas für mich sein, denke ich und behalte die Aktivitäten auf Facebook und im Blog im Auge.
Vor der Schlemmertour
Die „Schlemmertour“ wird angekündigt, 40 Kilometer, drei Fabrikverkäufe von Süßigkeitenherstellern sind auf der geplanten Strecke zu finden. Das könnte in allen Dimensionen etwas für mich sein und ich klicke “Interessiert“ – vor einer Woche wird daraus ein „Ich nehme teil“.
Ich habe vor knapp vier Wochen eine 40 Kilometer Wanderung absolviert, davor den Ostseeweg, davor wiederum kleinere Wanderungen, Waldläufe und naja ein bisschen Kung Fu Training, Jogging, Radfahren, was man halt so macht. Ich fühle mich jedenfalls einigermaßen gewappnet, bin trotzdem nervös, was mich erwarten wird und ob ich mit der Gruppe mithalten kann.
Ich versuche noch einige Bekannte zu motivieren, auch teilzunehmen, keiner kann kommen. So werde ich außer Carola Keßler erstmal niemanden kennen. Wie spannend.
Es ist Freitag, der Wetterbericht für Samstag zeigt erst einen Tropfen Regen und dann nachmittags zwei Tropfen Regen. In der Facebookgruppe „Marschgruppe EarnYourBacon“ hat sich jedenfalls über die Wettervorhersage noch niemand geäußert – alles Wanderprofis. Nur körperliche Abgeschlagenheit und Arbeit sind Gründe, nicht an der „Schlemmertour“ teilzunehmen.
Der Start und die Grundausrüstung zur Schlemmertour
Ich entschließe mich, erst mal loszugehen. Es gibt ja auch schließlich Möglichkeiten, einen Bus oder die Bahn zu nehmen, und vorher aufzuhören.
Etwas überstürzt verlasse ich halb neun am Samstag das Haus, im Rucksack ein paar Kleinigkeiten zum Essen und Trinken verstaut. Er ist nicht ganz leicht. Entgegen meiner letzten guten Erfahrungen mit ausgelatschten Turnschuhen zu gehen, entscheide ich mich aufgrund des Wetters für meine wasserdichten, aber auch schweren Wanderschuhe. Weiterhin trage ich meine heißgeliebte Matschhose, atmungsaktiv und wasserdicht, darunter eine Merinowollhose, oben ein Merino Longsleeve, Woolpowerstrickjacke und eine Regenjacke. Eine Stunde S-Bahnfahren lässt das Gefühl aufkommen, dass ich zu warm angezogen bin.
Das erste Süßigkeiten Outlet
Wittenau im Norden von Berlin ist unser Treffpunkt. Schon auf dem Bahnsteig begrüßen sich wanderlustig aussehende Damen, vor dem Bahnhof versammelt sich ein Grüppchen, was in den nächsten Minuten zu 25-30 Leuten anwächst. Erwartungsvolle Gesichter schauen auf Handydisplays und plappern etwas von Schokolade und Keksen. Der Bahlsen Fabrikverkauf ist nur ein paar Meter entfernt.
Vor dem Tor schießen wir erst einmal das obligatorische Gruppenfoto. Ich kämpfe mit meiner Wanderapp und möchte noch schnell die aktuelle Landkarte runterladen, deshalb schaue ich nicht wirklich in die Kamera – da sieht man mal, was so wichtig ist.
Die Mitarbeiterinnen an der Bahlsen Kasse schauen etwas ungläubig, als wir gegen kurz nach zehn den Laden stürmen. Ich schaue etwas ungläubig, als ich sehe, was für Mengen an Süßigkeiten in den Wanderrucksäcken verstaut wird. Ich selbst kann mich aufgrund dieser Wander App Geschichte nicht richtig auf die Auswahl konzentrieren und schnappe einfach spontan ein paar Dinge – darunter Cookie Aufstrich und etwas für die Füllung von Weihnachtskalendern für die Kids.
Nach einer Viertelstunde stehen alle wieder bereit zum losmarschieren. Die Rucksäcke sind prall gefüllt mit Kalorien. Wir laufen durch Wittenau, entlang großer Straßen und durch Industriegebiete. Das Wetter hält sich. Hin und wieder wird man angesprochen, was wir hier machen. So eine große Marschgruppe sieht man nicht alle Tage und in der Zeitung war unsere „Veranstaltung“ auch nicht angekündigt. Ich unterhalte mich angeregt und nehme eine Mischung aus trubeliger Stadt, Geschichten aus Nah und Fern wahr.
Ich wünsche mir, dass wir bald mehr in den Herbstwald gehen. So genau habe ich mir die Strecke vorher nicht angeguckt, aber ein bisschen Grün war schon zu sehen.
Auf Bahlsen folgt Storck. Beim eigentlichen Storckwerk werden wir auf einen anderen Ort verwiesen. Zum Glück ist dies nur ein kleiner Umweg. Auch hier werden Rucksäcke weiter gefüllt. Sogar raffinierte Tragekombinationen (siehe Bild) kommen zum Einsatz. Die Frage ist: Ab jetzt viel Essen und weniger tragen oder wie?
Ich stopfe mir beim Gehen ein Brötchen rein, ich befürchte, offizielle Pausen gibt es bei den Profis nicht.
Pause auf der urbanen Wanderung
Aber ich frag mal vorsichtig in die Runde. Carola hat sich nach Storck verabschiedet und war bei den letzten Wanderungen die Pausenkoordinatorin. So viele gemütliche Picknickplätze gibt es in der Stadt nicht. Entdeckung: Spielplatz mit Bänken. Eine echte Pause tut not. Bei mir jedenfalls. Ich schlürfe ein bisschen Kürbissuppe aus meinem Thermobehälter und trinke einen Kaffee. Schoki hat auch noch Platz. Und jetzt ein gemütliches Mittagsschläfchen – nein nicht wirklich – ich bin viel zu aufgeregt :). Wir sind jetzt knapp vier Stunden gewandert und ich rechne damit, dass wir ca. zehn Stunden brauchen.
Zum Glück gibt es eine richtige Toilette an der Tankstelle nebenan. So sind eben urbane Wanderungen: Spielplatz als Picknickplatz, Tankstelle für sanitäre Einrichtung.
Aber es kommt auch noch anders. Wir schreiten, schlurfen und eilen auch durch Wälder und Gartenanlagen. Die Bäume sind noch einigermaßen belaubt. Wenn die Sonne scheinen würde, gäbe es hier einen Farbenwettstreit aus Gelb und Orange. Es duftet nach feuchtem Laub und nasser Erde.
Hier in den Wäldern begegnen uns wenig andere Menschen.
Schlemmer Regen auf Schlemmertour
Gegen drei fängt es an zu nieseln. Einer nach dem anderen zieht sich etwas über oder, ich staune wieder, kleine Schirme werden aufgespannt.
Es gibt aber auch das Prinzip: Ich lass mich nass regnen, am Ende ziehe ich mich um, dann bin ich wieder trocken.
Nun ich liege mit meinen wasserdichten Hosen und meiner Regenjacke irgendwo dazwischen. Ich freue mich über meine trockenen Füße. Es wird gegen vier immer dunkler.
In kleinen Straßen weisen die Laternen den Weg, in unwegsamen Gelände leuchten ein paar Stirnlampen.
Der Moment der Wahrheit
In Falkensee an einer T-Straße kommt der Moment der Wahrheit. Wer gehört hier zu den richtigen Cracks und was ist mit mir selbst? Biege ich nach links ab (Abbruch der Wanderung) oder nach rechts (Fortsetzung – kaum ein weiterer guter Ausstieg möglich). Laut Navi sind es noch 15 Kilometer bis zum Ziel, nach meiner Rechnung sind das 3 Stunden.
Ich stelle mir kurz vor, wie es jetzt in einer warmen Badewanne wäre. Aber dann denke ich mir, was sind schon 15 Kilometer und 3 Stunden im Regen laufen. Schließlich will ich wissen, wie das ist, vor allem was der Unterschied zu der sonnigen Herbstwanderung mit Heiko und dem halben Ostseeweg ist. Ich habe den großen Drang Erfahrungen zu sammeln, mit mir selber und meiner Ausrüstung und all den anderen motivierten Menschen.
Die letzte Etappe mit „der wilden Dreizehn“ Es bleiben Dreizehn Wanderer auf dem Weg zum Ziel. Für mich wird es ruhiger und beginne langsam eine Blase unter der linken Fußsohle zu spüren. Bei jedem kurzen Halt wird mir klar, dass Pausen in der Phase irgendwie nicht gut sind. Lieber schnell einen Apfel im Gehen wegschnurpsen und eine Tüte von den Mandeln, die ich bei Bahlsen erstanden habe. Meine Laufapp sagt mir, ich hätte schon über 2.000 Kalorien verbrannt – das sind 4 Tafeln Schokolade – Jippijeh.
Am Morgen erzählte ich meinem Mann noch, dass ich schon irgendwie vom Zielort wegkommen würde. Keine Sorge, er muss mich nicht abholen.
Mit jedem Kilometer wünsche ich mir mehr, dass da ein warmes trockenes Auto auf mich wartet und mich flugs nach Hause fährt. Ich höre eine tollkühne Geschichte von einer Wanderkollegin, die ihr Auto um halb sieben am Ziel abgestellt hat und dann anderthalb Stunden mit den öffentlichen zum Startpunkt gereist ist. Planung ist alles, denke ich und hoffe weiterhin auf meinen lieben Mann.
Die letzte Etappe der Schlemmertour im Regen
Weiter setze ich Fuß vor Fuß, höre nebenbei etwas von Ultraläufen, der Zugspitze und anderen Extremen. Ich bin wirklich blutige Anfängerin. Und überaus fasziniert von allem, was in dieses Metier gehört. Mittlerweile auch von wasserdichten Trailrunningschuhen, die wahrscheinlich die Hälfte von meinen schweren Wanderbotten wiegen. Nun ein Versuch war es wert und die Auswahl im Schuhregal war nicht so groß, aber für eine 40 Kilometer Wanderung mit über 50 Prozent Asphalt würde ich nicht wieder Wanderstiefel wählen. Eine Erkenntnis.
Ich bin Bummelletzte und laufe fast auf die Gruppe auf, die stehen bleibt. Was ist los, denke ich und sehe vorne ein Auto, in dem ein Hund bellt. Wachschutz. Uff, nicht, dass wir hier nicht weiter laufen dürfen und wieder zurück (wie weit?) müssen. Rechts von mir sind Bahnschienen. Eine freundliche Wachschützerin erklärt, dass dies Bahngelände sei, wir dürften weitergehen, aber bis Bahnhof Elstal ist es noch ein Stückl. Ein dunkler Matschweg mit knöcheltiefen Pfützen ist unser Begleiter für die nächsten paar Kilometer. Ich hatte auch gar nicht damit kalkuliert, dass man bei unsicherem Untergrund und Dunkelheit auch langsamer wird. Die Kilometerangaben bis zum Ziel variieren auf den Geräten, auf einigen sind wir auch schon nicht mehr auf der Route, sondern auf einer Abkürzung.
Auf meinem Gerät sind wir schon bei knapp 41 Kilometern als wir wieder auf einer Asphaltstraße landen. Mein Telefon klingelt. Wo wir denn seien, mein geliebtes Abholauto wartet am Ziel.
Etwas umständlich mit nassen Fingern gelingt es mir dann doch meine Position elektronisch zu übermitteln und einige Minuten später hält ein Auto mit gleißenden Scheinwerferlicht neben mir auf der Straße. Wie wunderbar – mein Mann.
Es ist zwar ein bisschen geschummelt, nicht am Zielort gewesen zu sein, aber die 41 Kilometer sind geschafft. Wir fahren am Zielort vorbei und ich befürchte, dass man auf dem Gelände, eventuell noch ewig den erhofften Schokoladenladen gesucht hätte….. Amerikanisch anmutende Parkplätze und Shoppingmalls in Elstal. Die tapferen Zwölf haben es nicht mehr weit und freuen sich dann auch auf Wärme und Trockenheit.
Danksagungen
Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mir nur so wenige Namen gemerkt habe, obwohl ich doch mit einigen erfahrenen Wanderern lange erzählt habe und sehr dankbar bin.
Danke an alle, die mich Anfängerin mit ihrer positiven Stimmung motiviert haben, die interessante Geschichten zum besten gegeben haben und uns sicher durch den Dschungel navigiert haben – ich freue mich wieder dabei sein zu dürfen. Danke an Carola Keßler für die Planung der Route und Melissa Steinberg für die Initiative.
Zum Nachwandern für Menschen mit großem Süßigkeitenhunger hier der Link zur Route “Schlemmertour 2016”.
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