erzählt von Sebastian S.
Vor drei Jahren bin ich zum ersten Mal beim Mammutmarsch an den Start gegangen. Damals musste ich nach 50 km aufgeben. Damit hat mich der Ehrgeiz gepackt. Das muss doch zu schaffen sein… letztes Jahr kam dann die Enttäuschung. Der Marsch wurde abgebrochen, da war ich gerade mal bei km 59. Zum Glück fand sich eine kleine sehr nette Gruppe, die den Abbruch nicht auf sich sitzen lassen konnte, wodurch die 100km doch noch erreicht werden konnten. Doch bei aller Freude, die 100 km geschafft zu haben, war ich doch nicht richtig glücklich. Offiziell hatte ich das Ziel nicht erreicht. Somit war sofort klar: 2017 wird der Mammutmarsch auf jeden Fall bezwungen.
Die Vorbereitungen dafür starteten dieses Jahr schon sehr früh. Schon im Januar bezwang ich bei der “Polarnacht” die ersten 50km. Ab da ging es über die nächsten Monate konstant weiter. Allerdings fragte ich mich jeden frühen Samstagmorgen, den ich mich zum Training aus dem Bett quälte, wofür ich das eigentlich gerade mache. Um es mir zu beweisen? Nein, das habe ich schon geschafft! Für die Urkunde, die irgendwo verstaubt? Definitiv nicht! So kam ich mit Nina und Joel darauf, das ganze einem anderen Zweck zu widmen. Denn es ist ein enormes Privileg, sich freiwillig dafür entscheiden zu können, einfach mal aus Spaß an einem Wochenende zu versuchen, 100km zu Fuß zu gehen. Viele würden alles dafür geben. Man kann zwar mit Geld nicht direkt die Welt retten, aber man kann die wichtige humanitäre Arbeit von NGO´s unterstützen. So entstand dann recht schnell der Gedanke, den Marsch zu einem Spendenlauf zu gestalten und damit die Arbeit von “Ärzte ohne Grenzen” zu unterstützen. Einen Monat vor dem Mammutmarsch war es dann so weit, das Training war erfolgreich abgeschlossen (sogar mit dem “Turmdiplom” zertifiziert) und die Spendenaktion lief erfolgreich an.
Am 27.05.2017 kam dann der große Tag. Am Abend vorher entstand auch bei mir langsam Aufregung, Vorfreude und eine gewisse Angst vor der langen Strecke an einem der heißesten Wochenenden des Jahres. Mit einem mal wieder viel zu schweren Rucksack, ging es mit Joel zusammen los Richtung Erkner. Ein kurzer Zwischenstopp musste noch an der Seestraße gemacht werden, um noch Kumpir essen zu können und gestärkt starten zu können. In der glühenden Hitze ging es mit der Bahn nach Erkner. Dort saß schon ein Teil unserer “EarnYourBacon”-Gruppe. Wir meldeten uns an und holten unser T-Shirt ab. Als kleine Überraschung für die TeilnehmerInnen des letzten Jahres gab es zusätzlich einen “returning hero” Mammutmarsch Sportbeutel, inklusiver Getränkemarken für Kaffee an den Versorgungspunketen. Jetzt stand nur noch das obligatorische Gruppenfoto an, dann kann es los gehen, im wahrsten Sinne des Wortes.
Nach einer kurzen Ansprache vom Veranstalter, in der er unsere Gruppe als Ehrengäste erwähnte, ging es dann tatsächlich um 16:15 Uhr endlich los. Am Start liefen so viele Menschen durcheinander, dass es schwierig war sich nicht zu verlieren. Die ersten 16 km vergingen wie im Fluge. Am Strandbad Müggelsee war der erste Versorgungspunkt. Hier wurde aber nur kurz das Wasser aufgefüllt, eine Banane gegessen und das Klo aufgesucht und schon ging es weiter. Durch die kurze Pause gelang es uns, etwas aus dem Chaos von vielen Menschen heraus zu kommen. Da es nun schon 20 Uhr war und das DFB Pokalfinale parallel lief, suchten wir uns einen Radiosender, um es wenigstens akustisch miterleben zu können. So liefen wir die nächsten 90 Minuten und merkten gar nicht, wie die Kilometer flogen und wir uns nun zu viert (Joel, Sascha, Jan und ich) immer weiter von den anderen absetzten. Um uns herum nun kaum noch bekannte Gesichter. Mit der nun einbrechenden Dunkelheit wurde es dann doch allmählich kühler. In T-Shirt und kurzer Hose konnte es nicht mehr weiter gehen. So waren wir zu einer Umziehpause gezwungen. Sonst wären wir vermutlich durchgelaufen zum nächsten Versorgungspunkt bei Kilometer 44. Dort angekommen trafen wir dann doch einige bekannte Gesichter. Nach und nach wurden es immer mehr. Mir war allerdings um die Zeit nicht wirklich nach Essen und so wirklich schmecken wollte mir auch nichts. Ich versuchte so viel wie möglich in mich reinzustopfen, mein Körper würde es brauchen. Den anderen ging es ähnlich und so zog unsere vierer Truppe recht bald wieder weiter.
Es war nun spät in der Nacht, ich war durchaus schon etwas müde und nicht mehr für Kommunikation zu haben. Es war also die Zeit gekommen, Podcasts zu hören. So liefen wir recht stille weiter durch die dunklen Wälder und merkten nur daran, dass wir immer mehr Menschen überholten, dass unsere Laufgeschwindigkeit immer und immer schneller wurde. Gegen 4 Uhr hatten wir dann auch schon den nächsten Verpflegungspunkt bei Kilometer 59 erreicht. Hier gab es eine leckere Kartoffelsuppe und Kaffee und dann ging es auch direkt wieder weiter, denn für lange Pausen war es zu der Zeit zu kalt. Beim Loslaufen sagten wir uns noch, dass wir den nun kommenden Abschnitt etwas ruhiger angehen wollen. Doch kaum erblickten wir die ersten Sonnenstrahlen hatten wir dieses Vorhaben offensichtlich schon wieder vergessen.
So ging es schnellen Schrittes durch die Märkische-Schweiz, die sich vermutlich nur im flachen Brandenburg “Schweiz” nennen darf. Langsam machte sich die Geschwindigkeit bei Joel durch Kniebeschwerden bemerkbar. Zum Glück waren es nur noch wenige Kilometer zum nächsten Pausenpunkt (74km). Diesen erreichten wir auch noch vor 7 Uhr. Hier war zu unserem Glück Santosh als Helfer eingeteilt, denn der Rucksack war von Anfang an viel zu schwer und mit unnötigem Gepäck bestückt. Dies konnte ich nun alles endlich abladen. Kurz bevor wir weiter wollten kam, Steve angelaufen. Er hatte seine Gruppe zurück gelassen und wollte sich nun uns anschließen, in der Hoffnung in seiner Geschwindigkeit unterwegs zu sein (wer Steve kennt, weiß, dass niemand so schnell läuft wie er). Wir liefen also zunächst zu fünft weiter.
Die nächsten Kilometer waren die Hölle. Nicht wegen der zuvor gelaufenen Kilometer oder der Wegbeschaffenheit, sondern wegen der Millionen Mücken. Trotz aufkommender Hitze lief ich weiter in langärmliger Kleidung, Kapuze über den Kopf gezogen und wild mit den Armen wedelnd durch die wäldliche Moorlandschaft. Erst als es endgültig zu warm war und wir das Mückengebiet weit hinter uns gelassen hatten, traute ich mich in kurze Kleidung zu wechseln. Am besten hätte ich mich allerdings den Nudisten anschließen sollen, denn jetzt wo die Sonne richtig am Himmel stand wurde es enorm heiß. Zu unserem Pech war bei Kilometer 90 auch noch jeglicher Baum verschwunden.
Die nächsten Kilometer, gefühlt weitere 100, führten uns immer weiter gerade aus an der Hauptstraße entlang Richtung Gusow. Einen kleinen Lichtblick gab es noch mal bei 92km. Wir waren uns erst nicht sicher ob es eine Fatamorgana war oder ob wir wirklich in der Ferne eine Tankstelle erblickten. Zum Glück spielten unsere Sinne uns keinen Streich und wir wurden mit Eis beglückt. Gestärkt waren wir bereit für die letzten 8 Kilometer auf der “Straße der Hölle” wie sie so nett getauft wurde. Auf einem Straßenschild war das nächste Dorf in 4km angekündigt. Als wir dieses erreichten, durfte es nach meiner Rechnung nur noch 4km bis zum Ziel sein. Da sprach uns eine Frau vor ihrem Haus an, was denn die ganzen komischen Leute in ihrem Dorf wollten, als ich ihr sagte was wir hier suchten, versuchte sie uns zu motivieren mit den Worten “zum Bahnhof sind es nur noch 6km”, worauf ihre Freundin nett ergänzte “naja ein paar mehr sind das schon noch”.
Das Problem zeigte sich als ich auf mein Handy schaute und sah, dass die beiden recht haben sollten. Es waren nicht wie ich dachte nur noch 4km sondern doch noch über 6km, wie frustrierend… Naja es half ja alles nichts es musste weiter gehen. Die Schmerzen in den Füßen wurden zwar doch nun immer stärker, aber an aufgeben konnte ich sicherlich nicht denken. Es ging immer weiter geradeaus und das nächste Dorf wollte sich einfach nicht nähern. Ich beschloss, nicht mehr weiter auf mein Handy und die Navigation zu achten, sondern einfach nur noch zu laufen. Am Straßenrand standen nun immer wieder nette Menschen, die uns anfeuerten. Ein Pärchen, das am Vorabend auch zum Mammutmarsch angetreten war, aber aufgegeben hatte, fuhr mit seinem Auto immer ein Stück weiter voraus, um immer wieder anzufeuern. Das konnte die Schmerzen zwar nicht lindern, die Strecke verkürzen konnten sie leider auch nicht, aber die Motivation hoch halten und die Laune verbessern definitiv und dafür bin ich allen auf die letzten Kilometern dankbar! Ich wusste aus dem letzten Jahr, dass die letzten Kilometer sehr grauenvoll sein können und wie es ist, wenn man die 100km Marke erreicht hat, aber das Ziel noch weiter entfernt ist. Aber hatte das wohl etwas verdrängt.
Die Freude Gusow erreicht zu haben wurde schnell getrübt dadurch, dass das Ziel auch bei 100km noch einen Kilometer entfernt war. Nach jeder Kurve dachten wir, wir seien da und wurden enttäuscht. Irgendwann war es dann doch so weit. Wir bogen um die Ecke und da stand schon das Veranstalterteam und erwartete die Ankömmlinge lautstark! Nur noch wenige Meter zur offiziellen Ziellinie… Schnell die Konfettikanone aus dem Rucksack gekramt und dann zu viert unter Konfettiregen und Applaus der umstehenden Zuschauer die Ziellinie überqueren! Geschafft, 101 Kilometer in 21 Stunden!
Hinter dem Ziel warteten schon einige TeilnehmerInnen, unter ihnen auch Ingo und Steve. Beim Abholen der Urkunde erfuhren wir, dass bisher erst 32 Personen vor uns das Ziel erreicht hatten. Von 1250, die sich 2017 der Herausforderung gestellt haben, schafften es dieses Jahr 282 ins Ziel. Hinter dem Ziel saßen wir nun gemütlich im Schatten und warteten auf die nachfolgenden EarnYourBacons. Dank Santosh konnten wir die Wartezeit mit einem schönen Bierchen überbrücken. Im Laufe der nächsten Stunde wuchs unsere Gruppe immer weiter an, unsere Vorbereitung zeigte großen Erfolg! Nach ein paar Minuten des Ausruhens ging es mir auch schon wieder viel besser und Laufen ging auch wieder ganz gut aber ich sagte mir: Das war’s, nie wieder! Jetzt ist fast eine Woche vergangen und ich freue mich schon auf die 100km auf der Horizontalen rund um Jena am 09. Juni 2017.[:]
Einfach nur krass! Aber Riesenrespekt!
Ja, unser Sebastian rockt einfach 🙂