[:de]erzählt von Sebastian S.
Zwei Wochen ist es erst her, dass ich 100km beim Mammutmarsch in Berlin gelaufen bin und jetzt stehe ich schon wieder bei der Horizontale in Jena am Start. Wie kann man so verrückt sein? Eine Frage, die nicht nur meine Freunde mir gestellt haben, sondern auch ich mir selbst immer wieder stelle. Eine erste Antwort ist sehr leicht: Ich habe beim Buchen der Veranstaltung nicht nachgedacht und bin “mausgerutscht”. Eine andere Antwort auf die Frage nach dem Warum, suche ich selbst noch immer…
Da ich mir diese Frage selbst nicht so richtig beantworten kann, bin ich den Abend vor der Horizontale auch nicht wirklich motiviert und kann mir kaum vorstellen die 100km zu schaffen. Daher sitze ich den Abend lange mit Freunden bei Bier zusammen und schmeiße kurz bevor ich schlafen gehe noch schnell alles in den Rucksack. Um 10 Uhr am Freitagmorgen geht es los. Glücklicherweise muss ich selbst nicht Autofahren, sondern kann mich auf der Rückbank von Santoshs Auto noch etwas ausruhen und nach Jena fahren lassen. Dort angekommen laden wir unser Gepäck in der Unterkunft, ziehen uns um und gehen noch was leckeres Essen, um uns für die kommenden Stunden zu stärken.
Gegen 16 Uhr finden wir uns dann am Sportplatz, dem Startpunkt des Marsches, ein. Dort treffen wir auch die anderen EarnYourBacons. 13 Bacons haben es gewagt hier an den Start zu gehen. In dieser netten Gruppe bin ich nicht der Einzige, der verrückt genug ist zwei Wochen nach dem Mammutmarsch sich erneut dieser Herausforderung zu stellen. Nach dem Abholen der Startunterlagen haben wir noch knapp zwei Stunden bis zum Startschuss. Besorgt beobachte ich die dunklen Wolken am Himmel. Laut Wetterbericht soll es ab 21 Uhr gewittern aber immerhin soll es dann ab Mitternacht sternenklar werden.
Kurz vor 18 Uhr sammeln sich alle 1000 Läufer im Startbereich. Laut wird von zehn herunter gezählt, dann geht es unter lautem Jubel los. Unter den 1000 Menschen verliere ich einige unserer Gruppe schnell aus den Augen. Die Masse schlängelt sich gezielt in Richtung des ersten Berges. Die erste Steigung streckt sich über einen langen Abschnitt und es macht nicht den Anschein als ob die 2300 Höhenmeter schwer zu überwinde sein könnten. Noch sind alle gut gelaunt und machen Witze. Nach 5 Kilometern biegen wir auf den Rundkurs ab. Hier staut es sich, denn der Weg wird einspurig. Wir befinden uns nun auf einem Abschnitt wie wir ihn noch häufiger in den nächsten 19 Stunden erleben werden. Rechts von uns die Felswand, links geht es steil bergab. Man hat einen schönen Ausblick über das Tal und Jena. Der Weg ist so schmal, so dass überholen nicht möglich ist. So bewegen wir uns in einer ewig langen Schlange am Berg entlang. Es sieht aus als würden wir eine Menschenkette um Jena bilden.
Als wir wieder auf einen breiteren Weg treffen, fängt es langsam an zu tröpfeln. Die ersten kramen hastig ihre Regenkleidung aus den Rucksäcken, während ich noch hoffe, dass der Regen schnell über uns hinweg zieht und wir von schlimmerem verschont bleiben. Es kommt allerdings wie es kommen muss und wie es schon vom Wetterbericht angekündigt wurde; es beginnt zu schütten. Nur in einem hat der Wetterbericht zu unserem Glück Unrecht: es gewittert nicht. Noch sind wir etwas von Bäumen geschützt und bekommen damit nicht die volle Ladung des Unwetters ab, doch bald führt uns der Weg aus dem Wald auf die offene Weide. Spätestens hier werden wir richtig nass.
Als uns der Weg wieder in einen Vorort von Jena hinein führt, erreichen wir den ersten Versorgungspunkt. Da es noch immer stark regnet und es keinen Unterstand gibt, beschließen wir uns die Beutel mit der Verpflegung mitzunehmen und direkt weiter zu laufen. Unter einem kleinen Vordach lesen wir Raimo auf und beschließen mit ihm zusammen weiter zu gehen. Beim Loslaufen kommen auch Gritta und Dirk dazu. So ziehen wir zusammen in der Dämmerung durch den Regen.
In der Dunkelheit wird es langsam schwer zu erkennen wo eine Wurzel oder eine Pfütze den Weg versperrt. In dem Regen habe ich allerdings noch keine Lust in meinem Rucksack nach der Kopflampe zu suchen und vertraue weiterhin auf die Lichter der anderen. Bald geht es jedoch wieder steil bergab, auf einem sehr schmalen verwurzelten Weg, auf dem es ohne Licht doch zu gefährlich wird, so komme ich nicht darum herum meine Kopflampe herauszuholen. Unten in Jena angekommen geht es direkt wieder in Richtung des nächsten Hügels. Langsam wird das Prinzip klar: wenn du einen Weg siehst der nach oben führt, musst du mit Sicherheit diesem folgen. Dieses Konzept kennen wir ja zum Glück schon von allen EarnYourBacon-Wanderungen.
In der Dunkelheit fällt es uns zunehmend schwer, die Wegmarkierung zu finden und leider ist der digitale Track nur zur groben Orientierung gedacht und nicht zur Navigation, wodurch wir an jeder Kreuzung etwas länger brauchen, um den richtigen Weg zu finden. An einigen Stellen sind sich die Teilnehmer untereinander auch nicht einig. Die einen gehen den einen, die anderen den anderen Weg. Erfreulicherweise treffen wir in der Dunkelheit auf Maria, die aus Jena kommt und die Horizontale schon mehrfach gelaufen ist und daher selbst in der Dunkelheit den Weg kennt und uns so zumindest bis zum nächsten Verpflegungspunkt leiten kann. Hier trennen uns jedoch unsere Wege wieder, denn wir möchten im Gegensatz zu ihr, doch wenigstens kurz Pause machen und einen Kaffee trinken.
Da wir zum Verpflegungspunkt ins Tal gestiegen sind, heißt es nun nach der Pause selbstverständlich wieder den nächsten Berg zu erklimmen. Der Weg nennt sich Schweizerhöhenweg, der Name ist Programm. Da wir nun wieder ohne Ortskündigen unterwegs sind, kommt es wie es kommen muss. In der Dunkelheit sehen wir die Wegmarkierung nicht und laufen prompt an der Abzweigung vorbei und schnurstracks auf falschem Wege tief in den Wald hinein. Erst einige 100m später fällt uns der Fehler auf und zwingt uns zum umkehren. Als wir uns wieder auf dem richtigen Weg befinden, folgt uns eine Gruppe, die offensichtlich besser im Navigieren der Strecke ist als wir. Netterweise rufen sie uns an jeder Gabelung zu, in welche Richtung der Weg führt. Ohne diese Hilfe wären wir in dieser Nacht vermutlich noch einige Kilometer durch den Wald geirrt.
Die Nacht überstanden
Bei Sonnenaufgang haben wir dann endlich über die Hälfte der Strecke hinter uns gebracht. Die aufgehende Sonne spendet uns nun auch wieder neue Energie. So viel Energie, dass wir anfangen zu joggen. Etwas verrückt muss es jedoch ausgesehen haben wie wir den Berg hinunter gelaufen sind, denn Sascha, Dirk, Gritta und ich hatten uns unter den Armen eingehakt und rannten so in einer Reihe an allen vorbei. Erst als wir am Fuße des Berges ankamen, wanderten wir wieder normal weiter. Durch die plötzliche Energie und das gemeinsame Joggen war ich wieder super gut gelaunt und merkte gar nicht wie die nächsten Kilometer davon zogen. Schneller als gedacht erreichten wir den nächsten Verpflegungspunkt bei Kilometer 65. Zu unserer Freude gab es hier Waffeln zum Frühstück 🙂 Auf einem Schild hieß es: “Noch keiner hat 100km ohne Waffeln geschafft”. Im Umkehrschluss heißt dass, mit den Waffeln im Magen kann uns jetzt nichts mehr stoppen.
Gritta jedenfalls war nach der Pause definitiv nicht mehr zu stoppen. Sie rannte vor uns weg und war für die nächsten Stunden nicht mehr zu sehen. Ich merkte nach dieser Pause die Nachwirkungen des Mammutmarsches. Meine Füße taten jetzt schon gut weh. Somit brauchte ich etwas Zeit, um wieder in Schwung zu kommen. Aus Erfahrung wusste ich zum Glück, dass es nur die ersten Minuten nach einer Pause richtig schlimm ist und es wenn man in Bewegung bleibt, wieder besser wird. So war es auch und somit ging es auf die letzten 35 Kilometer.
Mich erreichte nun eine nette Nachricht mit motivierenden Worten und lieben Grüßen an alle in der Gruppe von Bob (einem weiteren Mitglied unserer EarnYourBacon-Gruppe). Ursprünglich wollte er auch mitlaufen oder zumindest uns das letzte Stück begleiten. Nun war er jedoch schon wieder auf dem Weg Richtung Berlin und wollte uns aus der Ferne für das letzte Stück motivieren. Keine zwei Stunden später kam noch eine Nachricht von ihm, er ist jetzt doch noch mal umgedreht und war auf dem Weg zu uns. Er würde uns auf dem letzten Abschnitt abfangen und mit Essen/Trinken nach unseren Wünschen versorgen.
Es lagen nun nur noch 10 Kilometer vor uns und laut Höhenprofil nur noch ein steiler Anstieg. Kurz vor dem Anstieg kamen uns schon die ersten Läufer der 35 Kilometer Wanderung, welche am Morgen gestartet war, entgegen. Zunächst war das sehr motivierend, denn damit war klar, dass das Ziel nicht mehr weit entfernt sein kann. Je mehr es wurden, desto nerviger wurde es jedoch. Zwar grüßten einige nett und versuchten uns mit Worten zu motivieren, die meisten jedoch standen blöd im Weg herum. Der Weg war nun wieder zu einem einspurigen Pfad geworden, der so eng war, dass überholen kaum möglich war, aneinander vorbei war in der Konsequenz ebenso schwierig. Wenn die ausgeschlafenen und noch frischen 35-Kilometer-Wanderer einem dann auch nicht den Weg frei machen, wird das eh schon anstrengende Wandern sehr nervtötend. Die entgegenkommenden Wanderer wurden immer mehr, der nächste Versorgungspunkt wollte jedoch ewig nicht erscheinen.
Nach einer weiteren Kurve war es dann endlich so weit, nur noch die letzten 100m steil bergauf, dann war der Versorgungspunkt erreicht. Die Pause wollten wir noch kürzer gestallten als alle vorher, damit es nicht wieder so lange braucht um in Bewegung zu kommen und schließlich waren es nun „nur noch“ 13 Kilometer. Also schnell die Cola getrunken, noch eine Scheibe Brot auf die Hand genommen und weiter ging es. Keine fünf Minuten später trafen wir dann auf Bob, der eine große Kühltüte mit kalten Getränken für uns dabei hatte. Lange Zeit zum Pause machen und uns unterhalten hatten wir leider an dieser Stelle nicht, denn wir blockierten so den schmalen Weg. Also blieb uns nichts weiter, als das auf später im Ziel zu verlegen. Mit einem schönen kalten Bier ging es somit für uns weiter. Es gab zu dem Zeitpunkt nichts schöneres als dieses kühle Bier. Die Schmerzen waren erst mal betäubt und so ging es mit neuer Energie in den letzten Abschnitt. Leider hielt das nicht länger als 5 Kilometer an, dann kamen die Schmerzen wieder zurück und waren gefühlt doppelt so schlimm wie vorher.
Dass die letzten Kilometer eines 100er schlimm sein werden, war mir bekannt, aber hier fand ich es besonders schlimm. Meine Geschwindigkeit ließ immer weiter nach und so wurde meine Entfernung zu Sascha und Dirk immer größer. Von Gritta hatten wir uns schon verabschiedet, sie wollte die letzten Kilometer noch mal Joggen und uns im Ziel empfangen. Irgendwann hatte ich Sascha und Dirk komplett aus den Augen verloren. Der nächste Berg kam mir daher ganz gelegen.
Ich sammelte meine letzte Energie, um den anderen hinterher zu rennen. Am Fuße des Berges war noch eine Getränkestation aufgebaut, hier traf ich wieder auf die beiden, um von hier aus gemeinsam das Ziel zu erreichen. Die Strecke, auf der wir nun liefen, waren wir am Vorabend schon entgegengesetzt gelaufen und hatten noch darüber gespaßt wie es sein wird, 24 Stunden später wieder hier entlang zu kommen. Zum Spaßen war mir zu dem Zeitpunkt allerdings nicht mehr, aber es war gut zu wissen, dass es gleich vorbei sein wird. Noch wenige Meter dann war es geschafft.
Nach unglaublichen 19 Stunden und 22 Minuten erreichten wir endlich das langersehnte Ziel, an dem Gritta schon auf uns wartete. Sie hatte es halb joggend, halb wandernd geschafft, in 18 Stunden und 57 Minuten die Ziellinie zu überqueren und dass obwohl sie spontan mitgekommen war und eigentlich nur maximal bis zum zweiten Verpflegungspunkt mitkommen wollte. Wahnsinn!! Endlich konnten wir uns entspannt mit einem Bierchen hinsetzen und auf die restlichen Bacons warten. Gegen 17 Uhr kam dann unter tobenden Applaus der barfüßige Santosh ins Ziel. Damit hatte es der letzte unserer Gruppe es auch erfolgreich geschafft. Von dem Team aus 13 Startern waren insgesamt 11 im Ziel angekommen, damit waren wir das größte erfolgreiche Team auf der Horizontale!
Und danach?
Das Fazit aller war: „Das war der härteste 100er den wir je gelaufen sind! Ein Mal und nie wieder!“ Der erste Satz mag vielleicht noch stimmen, beim zweiten bin ich mir im Nachhinein nicht sicher. Die Strecke war mit Sicherheit nicht einfach aber so schön dass ich es mir durchaus vorstellen kann im nächsten Jahr zu wiederholen.
Zum Abschluss bleibt mir nur eines zu sagen: Danke Bob! Und danke allen die mitgelaufen sind oder aus nah und fern unterstützt haben!