[:de]Hamburg Women’s Race – Sichtung von Beutelratten nicht ausgeschlossen[:]

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Nun sitze ich hier auf meinem Platz im Flixbus… und kriege das Grinsen nicht vom Gesicht. Der Regen prasselt schon wieder an die Scheibe, als hätte ich heute nicht schon genug davon abbekommen. Wie der Bus so nach Berlin flitzt, stelle ich über einen Instagram-Post fest, dass ich nicht die einzige im Bus bin, die gerade nach dem gelaufenen Hamburg-Marathon auf dem Weg in die Heimatstadt ist. Ich winke mal eben von hinten zur Reihe 5, dem Pawel. Die Welt ist so klein. Ich schaue mir meine Hamburger Medaille an, die an einem violetten Band an mir herunter hängt und lasse dieses verrückte Wochenende noch einmal Revue passieren.

Schon wieder ein Wochenende ohne Ausschlafen. Warum tue ich mir das eigentlich immer an? Morgens um 8 los zum Alexanderplatz, wo der Flixbus mich geschmeidig nach Hamburg bringen soll. Es ist kalt. Und regnerisch. Zum Glück sagt die WetterApp für Hamburg am Sonntag keinen Regen an. Punkt 9 Uhr fährt der Bus los und kommt mit drei Minuten Vorsprung in Hamburg an. Davon und von den Preisen kann die Bahn sich gerne mal eine Scheibe abschneiden! Sam, mit der ich das Women`s Race morgen laufen werde, ist gerade mit ebendieser Bahn angekommen und wir beginnen unser Carboloading beim hansestädtischen Mc Donald´s. Das Women´s Race findet 2017 zum ersten Mal parallel zum Marathon statt. Zwei Frauen können sich die Marathondistanz teilen, wobei die erste Läuferin 21,8 km läuft und danach an die zweite in der dortigen Wartebox übergibt. Eine komplett hälftige Teilung wäre sicher schöner, aber organisatorisch womöglich nicht machbar.

VerFLIXt und zugefitscht

Vom Bahnhof geht es direkt zu den Messehallen, wo wir unsere Starterbeutel abholen wollen. Ohne wirklichen Plan, wo es denn lang geht, folgen wir einfach den Massen. Bei einem solchen Großereignis funktioniert das ganz gut und so erhalten wir bald unseren ganz eigenen Women`s Race Starterbeutel mit violetter Seite. Der Inhalt kann sich sehen lassen: Gummitiere, ein alkoholfreies Bierchen, Red Bull und Energiegel. Der gute Jan Fitschen hat sich auch nach Hamburg getraut und so kommt Sam endlich auch zu ihrem kenianischen Armbändchen, das unheimlich schnell machen soll. Blöd, dass meins zu Hause liegt.

Dank der Twitter-Timeline und dem unglaublich selbstlosen Angebot von Sven sparen wir uns die unverschämten Hotelpreise und fahren in seine kleine, aber sehr feine Wohnung, die er uns für die Nacht zur Verfügung gestellt hat. Sogar gefaltete Handtücher mit Betthupferl (Snickers und Twix, der Mann weiß, was Läuferinnen brauchen) finden wir auf dem saugemütlichen Bett, in dem ich schlafen werde, wie ein Baby. Das Wetter draußen lädt wenig zum Umherschweifen ein, daher führt unser letzter und einziger Weg des Abends nur zum Penny um die Ecke, um die weiteren Zutaten fürs Carboloading zu besorgen: Rotwein, Nachos, Käse und Haferflocken. Noch nie habe ich vor einem Wettkampf abends Wein getrunken. Heute wirds ne halbe Flasche. Und auch zu den Nachos würde ein Ernährungberater wahrscheinlich nur den Kopf schütteln. Völlig müde von nichts verschwinden wir beide schon um halb zehn im kuscheligen Bett. Gute Nacht, Hamburg.

Alles Gute kommt von oben

Viel zu früh muss ich auch am Sonntag wieder raus. Relativ spontan haben wir beschlossen, dass ich die Startläuferin sein werde. Während ich mich frisch mache und mein Race-Outfit anziehe, bereitet Sam mir liebevoll ihren selbstgekochten Porridge zu. Da kann ja gar nichts mehr schief gehen. Am Vorabend hatten wir noch die Kleiderbeutel-Logistik geplant. So ganz einfach ist das beim Women`s Race nicht, denn die Beutel werden nicht vom Start zum Übergabepunkt transportiert. Stattdessen wird Sam dort mit meinem Kleiderbeutel mit trockenen, warmen Sachen auf mich warten, während ich ihren am Start abgeben werde. Zusammen mit meinen warmen Klamotten, die ich noch zur Anreise zum Start brauche. Läuferin 1 braucht folglich zwei Sets warme Sachen.

Die Sonne scheint auf dem Weg zu den Messehallen. Es scheint MEIN Wetter zu werden. Schön kalt und heiter bis wolkig. Kurz bevor ich zum Start wackel, treffe ich noch auf Andreas, der mir meinen Trainingsplan geschrieben hat. Er steht missmutig an den Toiletten an, die alle auch noch 15 Minuten vor Start mit langen Schlangen gesegnet sind. Es sind einfach zu wenig. Ich stelle mich mal lieber mit an. Am Ende braucht das Anstehen so lange, dass ich erst zwei Minuten vor Start überhaupt in meinem Startblock ankomme. Eigentlich nichtmal das. Irgendwie lande ich in Block E, statt I. Was solls. Zwischenzeitlich haben sich dichte, dunkle Wolken vor die Sonne geschoben.

Hamburger Schietwetter!

Pünktlich zum Start öffnen sich alle Schleusentore des Himmels und ein eiskalter Regen schüttet auf die bei gerade mal 4 Grad startende Läufermenge herab. Nach einem Kilometer bin ich schon pitschnass. Die Straßen sind gefüllt mit Pfützen. Natürlich habe ich keine wasserdichten Schuhe angezogen, darum schwimmen meine Socken auch schon in den Schuhen. Kurze Zeit später ändert sich der Niederschlag in kleine fiese Wurfgeschosse aus Eis. Hagel hat es ja jetzt noch gebraucht. Um die nächste Ecke herum pfeift eine steife Brise, die mir die Hagelkörner ins Gesicht peitscht und mir ein natürliches Peeling verpasst.

Nach dreimaligem Fluchen ergebe ich mich in mein Schicksal und mache das beste daraus. Wann läuft man schon mal im Hagel einen Wettkampf? Zumindest sind die Beine flink und flitzen über den Asphalt. Die mutmaßlich flache Strecke geht erstaunlich oft hoch und runter, aber mein Tempo kann ich halten. Ich bin sogar weitaus schneller, als ich es angepeilt hatte, aber ich fühle mich super. Also weiter so, so lange es denn geht. Sonne und Regen wechseln sich immer mal ab, treten aber angesichts des grandiosen Hamburger Publikums sehr in den Hintergrund. Die Bergab-Kurve hinunter zu den Landungsbrücken ist ein kleiner epischer Moment für mich und ich feiere ihn mit einem breiten Grinsen. Derzeit liege ich noch auf Sub-2-Kurs, auf den ich es aber überhaupt nicht angelegt hatte.

Nach 14 km bringt ein Autotunnel mein Pace durcheinander und ich laufe im geschwindigkeitstechnischen Blindflug. Auch nicht tragisch, es läuft immer noch und die Zeit wird eine meiner besten im Halbmarathon werden, selbst, wenn noch ein Einbruch kommt. Der kommt tatsächlich nach 19 km. Auf einmal schmerzt mein Magen und das Atmen fällt mir schwer. Also schalte ich einen ordentlichen Gang runter. Ich mache nicht nochmal den Fehler von Berlin. Langsam freue ich mich doch auf das Erreichen der 21,1 km. Nach offiziellen 02:01:20 Stunden laufe ich durch das Halbmarathontor. Wenn ich nach meiner Garmin gehe (und die hat immer Recht), bin ich 21,3 km gelaufen und damit noch unter 2 Stunden gelaufen. Ein tolles Gefühl für mein Ego, das nach dem Dresden Halbmarathon einen echten Dämpfer verkraften musste. 700 m muss ich aber noch weiter zum Übergabepunkt laufen. Psychologisch ist das harte Arbeit, denn nochmal 700 m zu laufen, nachdem man seine Halbmarathonzeit schon hat, ist reine Überwindung. Sam wartet schon strahlend auf mich, gratuliert mir zu meiner tollen Zeit und flitzt nach der Chipübergabe los, um unseren Marathon zu finishen.

 Zeitmanagement ist alles

Für ihren Abschnitt plant Sam etwa 2:15 Stunden ein. In der Zeit wechsele ich schnell meine Klamotten, fahre zurück zur Wohnung, dusche, wasche mir die Haare, packe, fahre wieder zu den Messehallen, hole ihren Kleiderbeutel ab und versuche zur Sammelbox zu gelangen. Die Sammelbox ermöglicht es den Frauen, gemeinsam die letzten 300 m ins Ziel zu laufen. Ich sehe die Sammelbox zwar, aber sie ist auf der anderen Straßenseite. Überqueren der Straße unmöglich, denn die ist ja für den Marathon gesperrt. Nachdem ich sämtliche U-Bahnausgänge durchprobiert habe, finde ich in Panik, zu spät zu kommen, auch endlich den richtigen.

Auch hier ist die Organisation wieder ein wenig experimentell, denn ich bin ja inzwischen schon aus meinen nassen Laufsachen raus und bewaffnet mit zwei vollen Kleiderbeuteln. Aber das wird schon. Nach 2:11 Stunden kommt mir Sam entgegen gerannt und wir sausen los zum roten Teppich und der Ziellinie. Die blöden Beutel schlackern rechts und links hin und her und machen selbst diese 300 m zur echten Herausforderung für mich. Mit wehenden Haaren und ziemlich gebeutelt laufe ich neben Sam über die Ziellinie des Hamburg-Marathons. Ein wunderbares Gefühl und eine fantastische Innovation, sich den Marathon teilen zu können. Da dürfen andere Städte bitte nachziehen!

Gegen Rückgabe des Zeitmesschips erhalten wir unsere Medaillen mit violettem Bändchen und laben uns an der Nachzielversorgung. Auch hier kann Hamburg echt punkten. Alkoholfreies Bier, Cola, Becher mit Brezeln, Pickups, Weintrauben, Bananen und Melonen habe ich gesehen und gegessen. Sogar Red Bull hat es auf der Strecke gegeben. Nichtsdestotrotz holen wir uns auf dem Rückweg noch ein leckeres Krabbenbrötchen beim Bäcker und flitzen zur Wohnung. Auch jetzt müssen wir hurtig sein, denn Zug und Bus gehen ja schon um 17 Uhr!

Beides erreichen wir gerade so rechtzeitig und so geht ein schönes Wochenende in Hamburg zu ende, an das ich zum Schutz vor Enttäuschung keine wirklichen Erwartungen hatte. Umso zufriedener und motivierter fühle ich mich jetzt, da es so gut gelaufen ist. Ich war sehr nah dran an Sub 2 (laut Garmin sogar geschafft) und fühlte mich weit besser als bei meinem letzten Höhenflug in Berlin. Wie heißt es so schön? Es ist noch Luft nach oben!

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4 Gedanken zu “[:de]Hamburg Women’s Race – Sichtung von Beutelratten nicht ausgeschlossen[:]

  1. Sehr schön geschrieben…das Wetter war echt mies. Da seid ihr ja nur kurz nach mir über die Ziellinie gelaufen :-).

    Die Nachos waren bestimmt der Energielieferant für den guten Halbmarathon;-)

    Weiter so!

    Viele Grüße

  2. Die Nachos waren ein super Energielieferant 🙂 Und der Wein sicher auch. Ach, schade, dass wir uns dann nicht gesehen haben, wenn wir kurz nacheinander ins Ziel sind. Vielleicht klappt es ja ein andermal!
    LG, Caro

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