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[:de]Der Dodentocht zu seinem 50. Jubiläum – Ein Erfahrungsbericht[:]

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Gastbeitrag von Ronny G.: 100 KM Wanderung „Dodentocht 2019“ am 9. und 10. August 2019, rund um
Bornem/Flandern in Belgien


Einmal in Belgien wandern gehen. Was bietet sich dazu besser an, als sich unter die Massen von Menschen zu mischen, die nun schon seit 50 Jahren alljährlich die Gegend um Bornem „unsicher“ machen.

Nach einem Tipp Anfang des Jahres von meinem guten Freund Robert „Bob“ Müller, wonach man unbedingt an einem der Wanderhighlights neben den „4 Daags“ im holländischen Nijmegen auch einmal am berühmten „Dodentocht 100 KM“ in Belgien teilgenommen haben muss, war es unbedingt wichtig, den Anmeldetermin nicht zu verpassen. Erfahrungsgemäß sollen wohl auch für diese Veranstaltung die Tickets innerhalb von Stunden, und wir reden hier von ca. 13 bis 14 Tausend, weggehen. Glücklicherweise konnte ich mir mit Startnummer 10510 eines der auf 13.000 limitierten Tickets ergattern.

Der „Dodentocht“, so wie ich mich habe aufklären lassen, auf Deutsch „Todesumzug“ oder auch umgangssprachlich „Totenkopfmarsch“ hat in Belgien seit 1970 eine große Tradition und findet alljährlich im August rund um die Stadt Bornem in Flandern statt. Das ganze gleicht mittlerweile einem Volksfest und läuft unter dem Motto „Walking for a better World“. Die Teilnehmerzahlen stiegen stetig an. Für dieses Jahr galt erstmalig die Limitierung auf 13.000 Teilnehmer und diese kommen aus vielen europäischen Ländern und Kontinenten. Auf einen Beitrag in Wikipedia wird verwiesen.

Zur Strecke

Die Strecke führt ca. 100 KM rund um die Stadt Bornem. Bornem selbst liegt im Dreieck zwischen Antwerpen, Brüssel und Gent im nördlichen Teil von Belgien Richtung Niederlande. Nächst größere Stadt ist Sint-Niklaas. Insgesamt 15 Verpflegungspunkte liegen zwischen Start und Ziel. Dazu gibt es eine relativ flache und an sich ohne wirkliche optische Reize gefüllte Streckenführung. Den Reiz an dieser Wanderung bildet aber nicht wie sonst gewohnt, das Panorama was man häufig auf Strecken in Deutschland findet, sondern der Volksfestcharakter dieser Veranstaltung. Aber der Reihe nach.

Anreise nach Belgien

Für die Hinfahrt hatte ich zwei Optionen. Eine Tour mit Bob und seinem „Bus“ hin und zurück oder auf eigene Faust. Die erste Variante wäre die sicher schönere gewesen. Mit einigen Mitgliedern vom Team „EarnyourBacon“ hätte ich gemeinsam noch ein „Zeltabenteuer“ am Eventort verbracht.

Die zweite Variante wäre die Selbstanreise mit Bahn und PKW gewesen, immerhin ca. 1.300 KM von meinem Wohnort (Erfurt) und insgesamt 16 Stunden Reisezeit (hin und zurück). Da ich mich mit dem Zelten noch nicht so „angefreundet“ habe, ging es dann doch auf eigene Faust los. Bis nach Aachen mit dem Auto und dann noch drei Stunden Bahnfahrt bis nach Bornem. An sich soweit ohne Vorkommnisse. Aber spätestens ab der vorletzten Bahnstation bekam man einen Eindruck, was für Menschenmassen sich da in Bewegung gesetzt hatten. Mittlerweile bin ich ja doch auch das eine oder andere größere Event gewohnt (Mammutmarsch, Megamarsch, Horizontale-Jena, Karwendelmarsch, um nur einige der größeren WanderEvents zu nennen, sofern man das als „groß“ bezeichnen kann). Aber dieses Mal sollten ganz andere Maßstäbe gesetzt werden, zumindest für meine bisher bekannten.

Es geht los

Ca. zwei Stunden vor dem Start, bei herrlichstem Wanderwetter (Sonnenschein und etwas über 20 Grad Wärme) konnte ich mir von Bob auch meine Startunterlagen abholen, die er mir freundlicherweise vorab besorgt hatte. Auf dem Weg zum Zeltplatz ging es schon durch viele Menschen und man fühlte sich wie auf einer riesengroßen Partymeile. So etwas Ähnliches hatte ich vielleicht vor 15 Jahren bei der Love Parade in Berlin erlebt. Auf dem Zeltplatz traf ich neben Bob und seiner Partnerin Lea (die gute Fee vom Mammutmarsch) auch einige andere Wanderfreunde an. Nach einem kleinen Plausch mit gesponserten Kaffee und Gewürzgurke (der Wandernahrung schlechthin) ging es zum Startort.

Auf dem Weg dorthin begegneten einem erneut sehr viele Menschen aller Altersgruppen und unterschiedlicher Aufmachung. Die einen wirkten wie, als wenn es zu einem Halbmarathon am Sonntagvormittag ging, andere hatten sich bunt verkleidet und wiederrum andere sahen aus, als wenn Wandern eine völlig neue Art der Fortbewegung wäre. Am Startort angekommen überwältigte einem erneut die schiere Menge an Menschen, die sich auf einem großen Platz sammelten. Zum Start selber gab es zwei verschiedene Starttore, von wo aus jeweils etwa die Hälfte der Teilnehmer startete um sich dann nach ein paar Kilometern wieder auf einer gemeinsamen Hauptstrecke zu treffen.

Punkt 21 Uhr, nach einer Ansprache (die leider nicht auf Deutsch, aber durch die Sprachverwandtschaft doch ganz gut zu verstehen war) und entsprechender musikalischer Einstimmung öffneten sich die „Schleusen“ und die Masse setzte sich in Bewegung. Knapp 20 Minuten (!) nach dem offiziellen Start passierte dann auch ich das Starttor. Erwähnenswert ist hier noch zweierlei: Es gibt für jeden Teilnehmer einen Chip für die Zeitnahme, was nun wiederrum doch ein wenig den sportlichen Charakter dieser Wanderung unterstreicht und offenbar auch nicht von irgend jemanden in Frage gestellt wird (ich brauche da nur immer wieder an die Diskussionen in Bezug auf Marschevents in Deutschland erinnern). Und zum anderen, ist es tatsächlich möglich, dass tausende Menschen durch ein Starttor passen können, ohne dass man schubsen muss, Panik entsteht oder sonst was. Man sieht, es geht. Gute Beispiele hier sind auch der Rennsteiglauf und nochmal als Vergleich der Karwendelmarsch.

Massenbewegung

Und nun kommt das eigentliche an diesem Event. Der Marsch durch die Massen. Vorneweg sei erwähnt dass man, wenn man sich in einem normalen Marschtempo vorwärts bewegt, von KM 1 bis KM 100 nie, aber auch wirklich nie, an irgendeiner Stelle alleine unterwegs ist. Das war auch für mich mal etwas vollkommen neues, abgesehen von dem einen oder anderen Marsch, den man nur bei Tageslicht macht und auch da nicht nur 50 Menschen mitmarschieren. Und dadurch, dass durch den späten Startzeitpunkt man sich auch gleich in die Nacht hinein bewegt, bekommt das ganze einen besonderen Reiz. Dieser wird aber noch davon getoppt, dass sich die Karawane von Menschen die ersten 20 bis 30 KM durch viele Ortschaften schiebt, wo sich wahrscheinlich ganz Belgien zu einer riesengroße Partymeile versammelt hat und mit Musik und Klatschen die Menschen die da so durchmarschierten (manche vielleicht auch durchrannten) anfeuerten. Böse Zungen behaupten allerdings, dass es in der Anfangszeit des Marsches den Grund hatte, dass die Einwohner ihre Grundstücke vor „Wildpinklern“ schützen wollten. Seis drum..jeder Marsch hat so seine kleinen Anekdoten und „Legenden“.

Durch diesen „Partymarsch“ verging natürlich die Zeit sehr zügig und man hatte auch nie wirklich das Gefühl, es müsste anstrengend werden. Dazu kommt noch, dass die offiziellen Verpflegungsstationen zwar am Anfang etwas weiter auseinander lagen, aber man immer in diesen Ortschaften von irgendjemanden was angeboten bekommen hatte. Leider verlor ich kurz nach dem Start die übrigen Teilnehmer der Gruppe um Bob herum und noch mehr traf mich dann von Bob selbst im Laufe des Tages die Nachricht, dass er zwischenzeitlich aussteigen musste. Wie weit es jetzt alle gekommen waren, vermag ich nicht mitzuteilen. Ich denke aber, dass es alle bis zum Ziel geschafft haben.

Nach einer kurzweiligen Nacht, zu der ich nicht einmal die Taschenlampe zücken musste, da sowieso alles durch andere herum „taghell“ erleuchtet war, führte der Marsch weiter über Feld und Waldwege. Ein Highlight der Nacht war sicher noch der Weg durch einen Schlosspark. Nur schob sich die Masse da weiter unaufhaltsam durch, so dass nicht viel Zeit für „Muße“ blieb.

Mit Anbruch des Tages und der Hälfte der Strecke kamen bei mir noch keine Anzeichen von Schmerzen oder Anstrengung. Das kann zum einen daran gelegen haben, dass ich ja das ganze Jahr über solche Art von Wanderungen bereits hinter mich hatte, oder einfach auch daran, dass durch das Besondere an dieser Wanderung man nie wirklich das Gefühl hatte, es ist etwas, was den Körper jetzt wirklich fordert, solange man natürlich nicht auf Geschwindigkeit aus ist, sondern einfach nur auf das „Mitschwimmen“ in der Menge und dem stressfreien „Genuss“ beim Wandern auskostet.

Irgendwie lichteten sich doch aber auch nun die Reihen der vor und hinter einem marschierenden Menschen, ohne aber sich alleine zu fühlen. Bei dem einen oder anderen merkte man auch an, dass die bisherigen Kilometer doch nicht ganz spurlos blieben. Es boten sich mit dem Sonnenaufgang auch ein paar schöne Momente und sich die Zeit zum fotographieren zu nehmen. Es gibt eben Momente, die erlebt man nicht immer und es sind auch immer wieder schöne Erinnerungen. Wie die Erinnerung an die endlosen Maisfelder. Nun weiß ich auch, woher die „Cornflakes“ und das „Popcorn“ kommen. Zwischendurch konnte man sich auch die Zeit nehmen, mal den einen oder anderen Teilnehmer neben, vor und hinter sich zu beobachten. Leider waren Gespräche nicht wirklich möglich. Aber die Wanderbegeisterung scheint in Belgien wirklich sehr hoch zu sein. Von 16 bis 86 wandert da alles mit.

Countdown

So etwa 20 km vor dem Ziel meinte das Wetter nun, noch eine kleine Aufgabe stellen zu müssen und schaltete kurz auf „Tief“. Man muss auch wissen, obwohl Bornem in Zentralbelgien gelegen, ist es bis zur Nordsee und dem Atlantik nicht sehr weit. Aber ein paar kurze Schauer erfrischten nach der teilweise schwülen, aber auch windigen Nacht. Und als es gegen Mittag ging, machte sich auch wieder die Sonne breit, so dass es auf den letzten 10 Kilometern nur noch ein „Auslaufen“ war.

Auch für mich selbst überraschend, sah ich mich vor einer neuen persönlichen Wanderbestzeit entgegen gehen, obwohl die Strecke (viel Asphalt) ähnlich wie die „7 Seen- Wanderung“ bei Markkleeberg/Sachsen ist und die mich jedes Jahr herausfordert und ich da nie unter 20 Stunden ankomme.

Mit Sonnenschein und alle drei bis vier Kilometer eine Verpflegungsstation ansteuernd ging es nun so langsam dem Ziel entgegen. Und dieser Zieleinlauf hatte es noch mal in sich. Ca. 1 km durch den Ort Bornem bis zur Ortsmitte auf einem extra für den Teilnehmer abgesperrten Weg durch Massen von Menschen die jubelten. Das wird sich bei mir einprägen und war nun in meiner mittlerweile 9-jährigen Wanderkarriere, abgesehen von dem einen oder anderen ähnlichen Zieleinlauf, doch ein einmaliges Erlebnis. Und das konnte ich trotz der zurück gelegten 100 km sehr gut genießen.

Im Ziel gab es dann neben dem einen oder anderen kleinen Präsent den berühmten Anstecker mit dem „Totenkopfkreuz“ und der Zahlenklammer. Das Ziel selbst..Nun ja, man sitzt dann in einem großen Zelt. Hinter einem der Zieleinlauf und nach vorne zu der Weg in die Stadt zurück. Das ist dann etwas merkwürdig geregelt. Da schleicht man sich aus dem Zelt heraus und findet sich in den Menschenmassen wieder. Für den einen oder anderen, dem doch die Füße glühen etwas unglücklich, zumal auch sämtliche Lokalitäten in einem gefühlten Umkreis von 1 KM überfüllt waren und sich die Gelegenheit, bei Kaffee und Kuchen das Erlebte noch mal Revue passieren zu lassen, nicht bot. Für Auswärtige ohne Anhang oder ähnlichem, sehr schwierig. Auch allgemein denke ich, sollte der Weg aus dem Ziel heraus entweder anderes gestaltet werden oder der Zielort wie Startort sein. So schön der Zielort und der Weg dahin auch sein mögen, danach ist das ganze Erlebnis wie „abgeschnitten“.

Aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Es ist auch Geschmackssache. Ich hab es eben nach einer solchen Wanderung eben immer gerne etwas ruhiger. Man ist ja auch schon lange unterwegs und vielleicht auch etwas übermüdet. Ich muss dazu erwähnen, dass ich mit dem Aufstehen Freitagmorgens, der Fahrt zum Start und der Wanderung als solchen bereits über 32 Stunden auf war und die Rückfahrt ja noch zu bewältigen war. Irgendwie fand sich dann doch noch in dem Ort etwas Ausserhalb der Massen ein kleiner Platz zum Ausruhen und nach etwa einer Stunde Erholung, hieß es sich auf den Rückweg zu machen. Auch die Rückfahrt verlief soweit planmäßig, auch wenn die Autofahrt ein paar mehr Pausen beansprucht hatte (und in keinster Weise zu empfehlen ist! Safety first!). Schließlich kam ich dann aber doch, mittlerweile war es Sonntagmorgen, gegen ein Uhr wieder zu Hause an.

Es war ein sehr langer, intensiver und doch kurzweiliger Wochenendtrip.

Das positive?: Eindeutig das Eventfeeling.
Das negative?: Man wohnt einfach zu weit weg um das Ganze kostengünstig zu planen.
Eine Wiederholung?: Ist angedacht. Wann? Das wird sich ergeben.
Was vergessen?: Ganz sicher.

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[:de]Berlin Marathon 2018 – Haken dran![:]

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Ein Marathon ist kein Marathon. Zumindest dachte ich das vor ziemlich genau einem Jahr, als ich meine Daten in den virtuellen Los-Topf zum Berlin Marathon 2018 schmiss. Als wohnhafter Berliner stehen die Chancen grundsätzlich sehr gut, einen der fast 45.000 Startplätze zu ergattern. Trotzdem wartete ich sehnsüchtig auf den Tag, an dem es für viele Läufer hieß: „Herzlichen Glückwunsch, du bist dabei“, für etliche aber auch eine Absage bedeutete. Ich gehörte zu den Beglückwünschten und fragte mich sofort „Was hast du dir nur dabei gedacht?“
Als Berliner Läuferin muss man den Berlin Marathon mal gelaufen sein. Auch wenn es ein Herbstmarathon ist, der mich die Jahre davor immer davon abgehalten hatte, mich anzumelden. Diesmal dachte ich mir „Was soll’s, die eine Woche mit 30 Grad im Sommer wirst du schon durchhalten.“ Pustekuchen. Es kam alles anders als erwartet.

Berlin, ich komme!

Am 16.9.2018 stehe ich nun da, im Startblock Ganz-weit-hinten-H. Tausende Läufer aus aller Welt warten darauf, dass die letzte Startwelle um kurz nach 10 Uhr endlich losrollt. Mit Lea und Sebastian habe ich den Deal ausgehandelt, dass wir die erste Hälfte im 7er-Schnitt laufen und danach gucken was oder wer geht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Pünktlich um 10.05 Uhr setzt sich die Läufermasse Richtung Großer Stern in Bewegung. Es geht los. Ich laufe wirklich den Berlin Marathon!


Die ersten Kilometer verfliegen geradezu. Wir quatschen, lassen uns von den begeisterten Zuschauern anfeuern, genießen die Stimmung und unser angenehmes Tempo. Schneller muss nicht. Die Strecke führt in den Norden, dann in den Osten, wird immer zentraler. Aber wie so oft im Wettkampf bekomme ich von der Stadt an sich nicht viel mit.

Es ist warm, es ist sonnig. Jeder einzelne Verpflegungspunkt wird mitgenommen, um den erhöhten Flüssigkeitsbedarf zu decken. Ich teste diesmal den Softcup von Salomon/Adidas, der die Nutzung von Plastikbechern verhindern soll. Eine tolle Idee, denn an jedem Verpflegungspunkt stolpern wir über hunderte oder sogar tausende dieser Becher, die wild verteilt auf der Strecke liegen. Ich lasse mir stattdessen einfach Wasser in meinen Becher kippen, den ich hinterher wieder mit einem Karabiner an meiner Laufhose befestige. Ein Konzept, was sich hoffentlich bei vielen durchsetzen wird, denn ich stelle auch fest: es kostet nicht mehr Zeit, als nach einem Einwegbecher zu greifen.

Langsam wird’s anstrengend

Nach rund 17 km merke ich langsam, dass der Lauf nicht so schön rund und einfach läuft, wie meine letzten langen Trainingsläufe. Ein weiterer Beweis für meine Theorie, dass ich ein Trainingsheld, aber ein Wettkampf-Loser bin. Meinen Plan, noch bis mindestens Km 24 durchzulaufen, lege ich nach 20 km ad acta. Sebastian hat aber noch Körner und zieht nun von dannen. Lea und ich beginnen unsere erste Geh-Etappe. „Gott sei Dank“, denke ich, als ich aufhöre zu laufen, ärgere mich aber dennoch, dass ich jetzt schon so fertig bin. Egal. Ein Zeitziel stand und steht für diesen Tag sowieso nicht zur Debatte. Ankommen ist das Ziel. Die Medaille mit dem schwarzrotgoldenen Band in der Hand halten ist das Ziel. Einen Haken an den Berlin Marathon machen ist das Ziel. Und das ist alles schaffbar.


Unsere Wechsel zwischen Gehen und Laufen sind anfänglich noch recht kurz. Ich hatte das ja im Training schon einige Male ausprobiert, aber Lea fällt dieser ständiger Wechsel schwer, also verlängern wir die Intervalle. Ich freue mich über jede Dusche, die für ein wenig Abkühlung am Rande sorgt und besonders freue ich mich über meinen persönlichen Support nach 27 km am Breitenbachplatz. Ich bekomme Fruchtmus gereicht und werde meine Softflasche los, die ich bis hierhin mitgeschleppt hatte.

Da hier der Punkt der Marathonstrecke ist, der meiner Wohnung am nähesten liegt, ist es ganz wichtig, weiter zu laufen. Ansonsten wäre das hier mein Abbruchpunkt gewesen. Aber es geht voran. Nur noch 15 km! Das ist überschaubar. Auf einmal bin ich wieder voller Kraft und laufe und laufe. Am wilden Eber vorbei, die Lentzeallee entlang. „Keine Sorge“, meine ich zu Lea, „spätestens am Ku’damm ist die Euphorie wieder vorbei.

Und so ist es auch. Laufen fällt wieder schwer und so gehen wir ein ganzes großes Stück auf der Flaniermeile des ehemaligen West-Berlins. Am Europacenter wartet Sam auf mich, die so hart für den Marathon trainiert hat und nun am Rande stehen muss. Ein lange anhaltende Erkältung wollte sie einfach nicht loslassen. Jeder halbwegs vernünftige Läufer weiß: mit einer Erkältung läuft man keinen Marathon. Auch, wenn es noch so schwer fällt. So traurig ich für sie bin, so sehr freue ich mich trotzdem, sie dort zu sehen. Eigentlich mag ich an dem Punkt viel lieber noch ein wenig quatschen, aber irgendwann muss ich ja auch mal im Ziel ankommen.

2 km zum Ziel! Na komm schon, Körper!

Wir passieren den Potsdamer Platz biegen wieder gen Osten ab. 39 km sind geschafft und wir sind auf der Friedrichstraße. Seltsam wenig Zuschauer sind nur noch hier. Oder ist an dem Punkt nie viel los? Plötzlich merke ich, wie mir schwindlig wird. Ich kenne das Gefühl nur zu gut und ziehe sofort die Reißleine.
„Lea, ich kann jetzt nur noch gehen, sonst kippe ich um. Der Kreislauf macht nicht mehr mit“. Weil sie mir vor drei Kilometern gesagt hat, sie könnte jetzt den Rest durchlaufen, will ich sie nicht aufhalten.
Stattdessen gibt sie mir ihr Energiegel und wir halten noch einmal für Tee an einem Verpflegungspunkt an.

Ich versuche, meinen Körper einigermaßen in den Griff zu kriegen. 2 km vor dem Ziel! Das kann doch nicht sein. Das darf nicht sein. Mir fällt es schwer, nicht wegzuklappen und ich höre tief in mich hinein. 41 km. Ok. Versuchen wir es nochmal. Ich wollte eigentlich nicht wandernd ins Ziel kommen und so laufen wir beide los. Immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, doch lieber wieder zu gehen, falls es wieder schlimmer wird.

Wir biegen endlich auf die Zielgerade ein. Vor uns das Brandenburger Tor. Ich werde durchs Brandenburger Tor laufen! Beim Berlin Marathon! Die Menschmenge rechts und links tobt, selbst für uns langsame Schnecken. Vor gut 4 Stunden ist schon der Gewinner und Weltrekordbrecher hier über die Ziellinie gegangen und trotzdem werden wir empfangen wie Helden. Die Berliner Stimmung ist Wahnsinn! Das Tor selbst ist nicht das Ziel, wie viele vermuten. Es ist nicht einmal die 42 km-Marke. Es geht noch gut 500 Meter weiter geradeaus. Schaffbar. Sogar laufend!

 

Hand in Hand laufen Lea und ich nach 5:48 Stunden über die Ziellinie und holen uns die hart erkämpfte Berlin-Medaille mit dem aktuellen Weltrekordhalter auf der Rückseite. Es war ein langer, harter Kampf, ein wunderbarer Lauf, eine göttliche Stimmung und auf jeden Fall das erste und letzte Mal, dass ich den Berlin Marathon gelaufen sein werde. Haken dran. Mission accomplished.

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[:de]20. Sondershäuser Kristalllauf – 700 m unter Tage mit Salzkruste[:]

[:de]Seit heute weiß ich, warum Bergwerke eben Bergwerke heißen. Nicht etwa, weil da im Berg gewerkt wird. Nein, wegen dem Berg im Berg. Dass ich mal so viele Höhenmeter untertage machen würde, hätte ich nicht gedacht. 255 Höhenmeter auf 10,8 km muss man auch erstmal „oben“ machen. Entsprechend bin ich jetzt, ca. 4 Stunden nach dem Lauf, mal richtig müde.

Die Nacht war heute kurz. So richtig kurz. Um 4:30 Uhr klingelt der Wecker und ich schlappe in die Küche, um literweise Kaffee für die Anreise nach Sondershausen zu kochen. Kletterhelm und Stirnlampe in den Rucksack geworfen und um 5:00 Uhr geht es los. Draußen ist es noch stockdunkel, aber trotz der grausam frühen Morgenstunde ist die Autobahn Richtung Berlin schon richtig voll. Es staut sich sogar. Zum Glück muss ich in die andere Richtung.

Nach rund drei Stunden Fahrt im Dunkeln gibt es noch genug Parkplätze vor dem Eingang des Erlebnisbergwerks im Winz-Örtchen Sondershausen. Die Startunterlagen sind unbürokratisch schnell abgeholt, so dass es nach einem kleinen Frühstück im Auto dann auch schon ab in den Schacht geht. Zwei Fahrstühle, die mit Mordsgeschwindigkeit in die Tiefe rauschen, bringen die 500-köpfige Läuferschar auf -700 Meter. Meine Ohren machen schon nach den ersten Sekunden dicht, so dass ich wie ein nach Luft schnappender Karpfen im Fahrstuhl stehe. Unten angekommen, steht man bereits im feinen, weißen Salzstaub. 24 Grad und eine trockene Luft herrschen hier, aber erstmal nicht unangenehm. Es geht nach rechts, links, geradeaus in die verschiedenen Gänge des einzigen noch aktiven Bergwerks in dieser Region. Überall sind Bänke und Klapptische aufgestellt, an denen sich Läufer umziehen. Eine Kleiderabgabe gibt es nicht. Es kommt ja (erstmal) sowieso niemand mehr raus. Eine kleine Bar serviert Wiener Würstchen, Nudeln und sonstige Snacks. Blöd, wenn man sein Geld über Tage vergessen hat.

Durch das neugierige Stöbern in den salzig-staubigen Gängen, wo noch allerlei alte Maschinerie ausgestellt ist, vergehen die zwei Stunden bis zum Start um 11:00 Uhr ziemlich schnell. Ein wenig Uneinigkeit besteht darüber, in welchen Tunnel denn gestartet wird. Es stehen immerhin vier Richtungen zur Verfügung. Der Moderator klärt uns auf. Erst links, dann 1,8 km in einer Runde und das ganze dann 6 mal, insgesamt also 10,8 km. Den fiesen Berg, der gleich nach dem Start kommt, hat er mal eben verschwiegen. Das finden wir noch früh genug heraus. Nachdem ich beim Médoc-Marathon viel zu weit hinten gestartet war und kein Croissant mehr abbekommen hatte, bin ich diesmal schlauer und stehe recht weit vorn. Mein Training in den letzten fünf Monaten bestand durch den Ermüdungsbruch aus nicht mehr als vier oder fünf Laufeinheiten insgesamt. Davon war nur eine Mal 10 km lang gewesen. Viel zu erwarten habe ich also heute nicht von mir.

Nach der ersten Kurve geht es ganz kurz ein wenig bergab. „What goes down, must come up“ denke ich. Aber es kommt viel schlimmer. Es folgt ein richtig gemeiner Anstieg. Und als der fast am Ende scheint und mir schon die ersten Läufer wieder herunter entgegen kommen, geht es nochmal höher. Ich laufe das Ding konsequent bis nach oben, aber beschließe auch gleichzeitig: das war das erste und einzige Mal. In den folgenden fünf Runden wird da nur zügig hochgewandert werden. Meine Lunge brennt schon wie Feuer. Die Luft ist salzhaltig und der Boden glatt. Glattgeschliffener Salzstein eben.

Den Rest der Runde geht es zum Glück tendenziell immer bergab. Denke ich. Muss daran liegen, dass ich in der ersten Runde noch Reserven habe, denn die folgenden Runden zeigen mir ganz deutlich auf, dass es auch hier noch Passagen gibt, die ich am Ende nur noch gehen werde.

In einem breiteren und gleichzeitig auch helleren Abschnitt stehen alte verrostete Bergwerks-LKWs und Fördermaschinen zum Angucken bereit. Hier ändert sich auch die Beschaffenheit des Bodens, denn man rennt auf einmal durch strandartigen Salzsand. Etwas weiter wird man mit Musik aus Lautsprechern bedudelt, bevor es links auf die Meile mit Extra-Salzstaub geht. Ich versuche, nur durch die Nase zu atmen, aber das klappt nur bedingt. Noch einmal rechts, dann geht es wieder hoch zur Zielgeraden. Oder eben auch erst zur zweiten von sechs Runden.

Nach drei Runden frage ich mich, wie lange mein Kreislauf diesen Kreislauf mit Berganstieg wohl noch mitmacht.
Nach vier Runden möchte ich mir den Helm vom Kopf reißen.
Nach viereinhalb Runden will all die Kohlensäure beim Bergablaufen wieder nach oben raus, die mir mit Cola und Selter beim Verpflegungspunkt gereicht wurde.
Nach fünf Runden tut Jürgen von der Lippe aus einem Lautsprecher kund: „Die weibliche Brust ist schön. Und es kommt ein Getränk raus.“
In der sechsten Runde schleife ich mich nur noch den Berg hoch und zwinge mich zum Weiterlaufen. Bei den alten LKWs steht ein Läufer und macht Fotos von ihnen. Einer nach meinem Geschmack. Ich frage ihn, ob er ein Foto mit sich und dem Wagen haben möchte. Füge noch hinzu: „Auf Rekorde kommt es hier eh nicht an“. „Ach, ich bin schon fertig“, sagt er. Er dreht nur noch mal eine Extrarunde. Ob ich auch ein Foto von mir haben möchte, fragt er. Klar! Ob ich nun 3 Minuten früher oder später im Ziel ankomme, ist jetzt auch egal.

Mit salzbedeckter Haut und hängender Zunge laufe ich nach gut 1:10 Stunden über die Ziellinie und starte gleich vorbei an der Zielverpflegung zum Kristallstand durch. Denn jeder Finisher erhält beim Kristalllauf einen eigenen, ganz individuellen Salzkristall. Die paar weißen Kristalle, die es vor dem Lauf noch gab, sind natürlich schon weg. Ich finde für mich dennoch einen schönen rotglänzenden Stein mit kecker Spitze und nehme ihn stolz an mich.

Nach dem Lauf dürfen alle Läufer in den kleinen Konzertsaal, der in den Berg gehauen ist. Eine vierköpfige Band heizt uns nochmal ordentlich ein. Es wird geschunkelt, gesungen und untergehakt. Die Stimmung und Akustik sind fantastisch. Kurz vor 14 Uhr beschließe ich, die Siegerehrung auszulassen, denn es wartet noch eine lange, mutmaßlich staugeschwängerte Rückfahrt nach Berlin.

Der Sondershäuser Kristalllauf ist etwas besonderes, abwechslungsreiches und liebevolles im Einerlei der hunderten Volksläufe. Und gleichzeitig bekommt man noch eine Bergwerksbesichtigung im Schnelldurchlauf. Nur Berge, die sollte man mögen.

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