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Die Generalprobe für den Ostseemarsch! Zwei Wochen, bevor es wieder ernst wird, sollte die letzte lustige Wanderung stattfinden. „Lustig“ ist allerdings das letzte Wort, was mir über die Lippen gekommen wäre, wenn ich an die finalen Kilometer zurück denke.
Seit Anbeginn unserer Trainings hatte ich immer eine Route vorgegeben. Für dieses Wochenende wollte ich aber mal die Kreativität und Ideen der Gruppe nutzen und so kamen auch etliche schöne Vorschläge zutage. Bei einer kleinen Abstimmung ging der Havelradweg von Brandenburg an der Havel bis nach Werder als haushoher Favorit hervor. Aber weil das ja nur 41 km Wegstrecke sind, hatte ich die Route noch bis Potsdam auf gut 60 km verlängert – für die ganz Verrückten.
Viel zu früh…
…klingelte dann am Samstag der Wecker. 6:30 Uhr! Damit wir um 9 Uhr losmarschieren können. Wer, zur Hölle, hat sich denn DAS ausgedacht. Von Lichterfelde fuhr ich erstmal mitten in die Stadt, um dann mit dem RE1 wieder ganz weit raus zu fahren. Donut und zwei Kaffee hielten meine Moral aber hoch. Bis auf wenige Ausnahmen hatten die anderen wohl einen ähnlichen Tagesbeginn – zumindest verrieten das die verschlafenen Augen im Zug und am Start in Brandenburg.
Da geht’s nicht lang!
Ein paar Tage vorm Abmarsch hatte ich mir die Strecke mal grob angesehen und festgestellt, dass der Anfang fast ausschließlich an der Bundesstraße entlang führt. „Das geht doch bestimmt schöner“, dachte ich und plante mit GPSies und Google Maps um. Nun. Es gibt einen Grund, warum der Streckenbeginn immer an der Bundesstraße lang läuft. Vor Ort stellte sich die Lage nämlich ein wenig anders dar, als GPSies und die Satellitenansicht es vermuten ließen. Der ursprünglich geplante Weg endete jäh vor einem Zaun. Dann eben in den nächsten Weg abbiegen und über‘n Acker. So der Plan.
Nachdem ich schon als Erkunder vorgeprescht was, um die Lage zu checken, bellte auf einmal ein Hund los und ein alternder Gartenbesitzer/Bauer mit ausladendem Bauch „rannte“ aus seinem Kabuff raus und schrie mit in der Luft wedelnden Armen: „Wo wollt IHR denn? HALT! SOFORT stehenbleiben!“ Aus seinem Zaun heraus trat er nicht, wahrscheinlich waren wir dann doch zu viele. Ich versuchte zu erklären, dass wir nur einen Weg zum Havelradweg suchten, um nicht wieder zur Hauptstraße zurück zu müssen. „Und da wollt ihr hier einfach durchrennen? Da is STROM auf’m Zaun. Nur dahinten…da ist keiner drauf.“ Ich dachte erst, das wäre der Hinweis, wir könnten da lang. Schien aber nicht so. „Das is ja wie in der Kolchose! Da is auch jeder lang gelaufen, wo er wollte. Kann ja wohl nicht wahr sein!“ Zeit, umzukehren. Hier würde es nicht weitergehen. Der Mann war ja bissiger als sein Hund.
Als wir wieder am Bahnhof waren, hatten wir schon 2,5 km hinter uns. An sich nicht viel. Wenn man aber noch rund 41 bis 58 km vor sich hat, dann zählt jeder Meter. Also bissen wir in den sauren Apfel und liefen an der Bundesstraße entlang, aber immerhin auf der Originalroute. Nach etwa 8 Kilometern verließen wir sie Richtung Norden durch kleine Dörfchen und weitere 2 Kilometer weiter erreichten wir auch endlich die Namensgeberin dieses Weges: die Havel.
Der Sommer ist noch da
Wunderschön windet sich der Fluss hier am Wegesrand entlang, umgeben von hohen Büschen, Schilf und Bäumen. Kaum ein Boot ist unterwegs, stattdessen Reiher, Kühe und unzählige Gänse, die sich wohl schon auf den Start gen Süden vorbereiten.
Dass der Herbst langsam bevor steht, davon merkten wir allerdings nichts. Bei 27 Grad bretterte die Sonne von oben auf uns herunter und der Asphalt wärmte gleichzeitig noch von unten. Das kurze Stück, das uns durch ein Wäldchen führte, war eine richtige Erfrischung. Direkt am Wegesrand stand ein hohler Baum, groß genug, um einen Menschen aufzunehmen. Natürlich kletterte ich dort hinein, auch wenn ich dann schon wieder ganz weit hinten marschieren würde, weil alle anderen weiter zogen. Aber wann kann man schon mal buchstäblich IN einen Baum klettern? Angeblich kann man bis nach oben krabbeln und rausschauen. Dafür war mir aber der Inhalt zu bröckelig und ich wollte nicht den ganzen Baum zum Einsturz bringen.
Kurz vorher hatte ich noch schnell meine Socken gewechselt. Was hatte ich mir denn dabei gedacht, Low-Cut-Socks anzuziehen? Die scheuerten schon nach etwa 3 km, aber ich wollte nicht dort schon anhalten. Nachdem ich eine Abkürzung übers Feld genommen und mir den ganzen Sand in die Schuhe geschaufelt hatte, war es aber dann doch nötig. Meine Hacken waren schon richtig wundgescheuert. Prima, Caro. Nix dazugelernt in den vorherigen Wanderungen.
3 km sind sehr relativ
Nach gut 16 km stand einigen schon ins Gesicht geschrieben, dass eine erste Pause fällig war. Karsten kannte da einen Strand. Der sei nur noch 3 km entfernt. Nur noch. Na gut, für einen schönen Pausenplatz läuft man auch gern mal ein paar Meter weiter. Wir liefen an den Orten Götz und Götzerberge vorbei, fanden eine Lore von einer alten Ziegelei, fielen fast über zeltende Angler bei den Fischteichen und liefen immer noch. 3 km waren lange vorbei. Das Gemurre wurde lauter und mindestens zwei Leute zogen quasi schon einen Fuß nach.
Erst nach etwa 21 km erreichten wir endlich den sagenumwobenen Strand und ließen uns auf Bänke oder einfach in den Sand fallen. Futtern, Wunden lecken und Austreten war angesagt. Teilweise wurde die Pause auch für ein Minutenschläfchen genutzt.
Auf zum Eis
Und weiter ging es in der prallen Mittagshitze. Anscheinend hatten wir kurz vor der Pause einen Eisladen verpasst, so dass wir dem diskreten Wegweiser des Eiscafés/ Partyhofs Sans Souci ohne weitere Diskussion des Ob-oder-ob-nicht folgten. Die Gäste und auch Kellner des Eiscafés waren einen derartigen Anblick wohl nicht gewohnt. Entsprechend verständnislos und pikiert schauten sie uns an, während wir das Klo stürmten, um die Wasserblasen aufzufüllen, uns den Schweiß abzuwischten, große Colas auf Ex tranken und die Eistheke halb leer kauften. Sonderlich gut rochen wir sicher nicht.
Dass der Hinweis „Letzte Möglichkeit bis Werder“ des Eiscafés Sans Souci nur ein platter, aber funktionierender Marketingtrick ist, merkten wir dann in Phöben. Dort machten wir nämlich für das nächste Eis eine Pause. Selbstverständlich hatten wir uns das verdient. Schließlich waren wir weiter in der Sommerhitze über den Asphalt geschlichen, vorbei an Feldern und einer Pferderennsprunghindernisbahn, stellenweise dem Fernwanderweg E10 folgend.
Erster Endspurt – Wäre ich bloß in den Zug gestiegen
Werder war ja nicht mehr weit. Trotzdem waren wir alle froh, als wir endlich das erlösende Autobahnschild sahen. Die Sonne stand schon tief am Himmel, denn wir waren nun auch schon 10 Stunden unterwegs. Seit mehreren Kilometern hatte ich bereits mit mir gerungen, ob ich dem Schweinehund folge und in den Zug in Werder steige. Erst Gregors Pizza, die er mir als Stärkung für die noch kommenden Kilometer überließ, überzeugte mich, doch noch die Runde bis Potsdam voll zu machen. An meinen Waden entdeckte ich große, dicke Quaddeln, für die ich keine bessere Erklärung hatte als Sonnenallergie. Sie juckten nicht, taten nicht weh, also dachte ich mir nichts weiter dabei. Während knapp 20 Leutchen in Werder „Tschüss“ sagten, machten wir uns zu siebt auf den Weg in die Nacht.
Zweiter Endspurt – Darf ich mich bitte hinsetzen und sterben?
Der verheißungsvolle Name „Wildpark“ war leider nicht viel mehr als der Name eines Ortsteils, den wir hinter uns ließen, als gerade die Sonne über Werder unterging. Die Nacht kam schneller als erwartet und schon waberten wir im Stockdunkeln über die Straße, rechts und links im Gebüsch raschelte und rannte es. Nach einer Stunde fielen die ersten Bemerkungen des Nur-noch-ankommen-wollens. Ja. Das zählte ich mich dazu. Etwa 8 Kilometer vor Potsdam fing mein linker Knöchel an, zu schmerzen. 8 Kilometer, die zur Hölle werden sollten. Wir waren für meinen Geschmack verdammt schnell unterwegs. Klar, wir wollten ja ankommen. Etwa 5 Kilometer vor Potsdam fragte ich mich, ob ich das noch schaffe und versuchte, den Fuß beim Auftreten so zu drehen, dass es weniger weh tat. Aussichtslos.
3 Kilometer vor Potsdam machten wir noch einmal eine Mikropause, die nicht alle für notwendig erachteten. Ich schon. Und wenn es nur war, um drei Minuten schmerzfrei zu sein. 2 ½ Kilometer vor Potsdam wollte ich mich an den Wegesrand setzen und heulen. Aber ich dachte mir, ich sei schon 58 Kilometer gelaufen, da überlebe ich die letzten zwei auch noch. Überleben traf es dann wohl. Ich hinkte irgendwie weiter und wollte am liebsten das Schild küssen, das den Potsdamer Hauptbahnhof in nur wenigen hundert Metern anpries. Hinter mir machten sich weitere Ausfallerscheinungen bei meinen Mitwanderern breit. Ich war so froh, als es endlich vorbei war.
Ein Radweg ist ein Radweg!
Auf dem Rückweg wollte ich mir am liebsten die Beine abhacken, weil sie so weh taten. Die Quaddeln waren noch größer und mehr geworden. Und ich hatte das Gefühl, wie ein Iltis zu riechen, was sicherlich auch so war. Am nächsten Morgen merkte ich meine Achillessehnen beidseitig sehr heftig. Nach der 65 km-Wanderung im April hatte ich mich deutlich besser gefühlt.
60 km auf Asphalt ohne jegliche Dämpfung sind anscheinend keine gute Idee. Entsprechend Bammel habe ich nun vor dem Ostseeweg, denn der scheint einen ähnlichen Asphaltanteil zu haben. Asphalt ist nichts für Wanderer, zumindest nicht für eine solche Distanz! Ich bin gespannt, wie unsere Körper im Gegensatz zum Mammutmarsch, der viel durch Wald und Feld geführt hat, reagieren werden. Da ich eine Woche später zum Halbmarathon im Disneyland aufbreche, muss ich Prioritäten setzen. Wenn es schlecht läuft und ich Schmerzen während der Wanderung habe, weiß ich: Prio 1 haben Donald und Co.!
Vielen lieben Dank auch an Olaf, der mir ein paar Bilder zur Verfügung gestellt hat!
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Leider konnte ich nicht bei dieser Wanderung mitmachen, aber dank deiner Berichte fühle ich mich immer, als wäre ich dabeigewesen 🙂
Danke, Caro!
Oh ich krieg Asphaltangst! Wir sehen uns nächsten Samstag!
Geertje