„Herrje, was ist das denn?“ Als ich am Morgen aufwache, strahlen mir glitzernde Eiskristalle vom Inneren meiner Zeltwand entgegen. Und auch das Restwasser in meinem kohlegeschwärzten Topf ist gefroren. Auf 1.700 Metern ist in Arizona Mitte April noch immer Winter. Die aufgehende Sonne brutzelt das Eis aber in nullkommanix weg und hinterlässt wohlige Wärme. Es ist Ostersonntag. Aber mal abgesehen von der Begegnung mit einem Cottontail Rabbit – einem Kaninchen mit baumwollweißem Puschel – geht das Osterfest ziemlich spurlos an mir vorbei.
Es geht wieder hinab auf 1.000 Höhenmeter. Auf der ersten Hälfte gleicht der Arizona Trail einer langgezogenen Achterbahnfahrt. Jede erdenkliche Bergkette wird mitgenommen. Mit der Four Peaks Wilderness verlasse ich nun die vorletzte. Ihre Schönheit mit all den faszinierenden Steinformationen und plätschernden Bächen wird schwer zu übertreffen sein.
Halb voll oder halb leer?
Ich muss laufen, laufen, laufen. Nicht etwa, weil mir die Zeit im Nacken hängt. Entgegen meiner Erwartungen bin ich anderthalb Tage vor meinem Zeitplan. Es ist die Landschaft, die mich nach vorn treibt. Die ständigen neuen Eindrücke. Wie mag es hinter der nächsten Biegung aussehen? Sanfte, kakteenüberzogene Hügel? Massive Berge? Unendliches Flachland? Oder ganz etwas anderes?
Mitten in der unaussprechlichen Mazatzal Wilderness überschreite ich den sogenannten Halfway Point – die Hälfte des Arizona Trails habe ich geschafft. Und schon werde ich wehmütig. Nur noch die Hälfte liegt vor mir! Die Kilometer fliegen inzwischen nur so unter meinen Füßen hinweg und die Anstiege sind gar nicht mehr ganz so tödlich.
Inzwischen schlafe ich öfter ohne mein Zelt als mit. Abends mit Blick in die Sterne einzuschlafen, ist einfach nicht zu übertreffen – auch wenn ich ohne meine Kontaktlinsen, von denen ich vor rund zwei Wochen eine verloren habe, nicht wirklich scharf sehe. All das ist hier draußen aber irgendwie völlig egal.
Die Luft ist raus
Irgendwann musste es bei all dem pieksigen Zeugs ja mal passieren: Meine Isomatte hat ein Loch. Kurz vor dem Schlafengehen merke ich, dass meinem „Bett“ die Luft ausgeht. Unzählige Versuche, den winzigen Riss ohne den beliebten Badewannentrick zu finden, kosten mich einige Stunden. Aber noch zwei Tagesmärsche von der Zivilisation entfernt bleibt mir nichts anderes übrig. Am Ende finde ich den Quälgeist und flicke ihn mehr oder weniger fachmännisch. Gut genug, dass die Matte auch noch Jahre später mein Begleiter sein wird.
Mit einer missmutigen Stimmung wandere ich am nächsten Tag durch die Wildnis. Bei solch schönen Ausblicken kaum vorstellbar, dass hier schlechte Laune aufkommen kann. Und trotzdem macht mich der Trail heute mürbe. Es geht immer am Hang lang und meine Knöchel schmerzen. Der Weg ist noch steiniger als sonst und Ranger ist auf einmal schneller unterwegs als ich. Ich glaube, es ist die Schokolade, die mir fehlt…
Duschen? Was ist das?
Was hinauf geht, kommt auch herunter. Langsam und stetig lasse ich die Höhen der Mazatzal Wilderness hinter mir. Ganz in der Ferne kann ich schon das Mogollon Rim erspähen: die südwestliche Kante des Colorado Plateaus, das sich über die vier Bundesstaaten Utah, Colorado, New Mexiko und natürlich Arizona erstreckt.
Etliche Male war ich dort schon auf Entdeckungstour. Noch nie aber bin ich soweit dorthin gewandert. Die Emotionen nehmen gerade überhand und so rollt mir die eine oder andere Glücksträne übers staubige Gesicht. Die letzte Dusche habe ich in Superior genossen – das ist jetzt über sieben Tage her…
Zeit für ein Bad! Zum Glück liegt der East Verde River auf der heutigen Strecke. Hemd, Hose, Socken. Alles wird mehrfach durchs klare Wasser gezogen; und wird trotzdem nicht sauber. Ich bade im Fluss wie ein Spatz in einer Pfütze. Ranger sitzt am Ufer und kann das gar nicht nachvollziehen. Ob nun einen Tag mehr oder weniger stinken, ist jetzt auch egal.