[:de]An der frischen Luft sein, herrliche Ausblicke genießen, essen so viel und was man will und trotzdem dabei abnehmen? Das klingt zu gut, um wahr zu sein.
Seit Jahren kämpfte ich schon wieder mit ein paar lästigen Pfunden auf den Hüften. Vor allem in der glühwein- und lebkuchenlastigen Wintersaison konnte ich quasi zusehen, wie die Hosen enger wurden. Jedes Frühjahr derselbe Versuch, dem wieder Herr zu werden, scheiterte in der Regel an der mangelnden Selbstdisziplin. Nachos mit Käse am Abend waren einfach zu verführerisch. Jeden Abend.
Irgendwann gab ich dann einfach auf und dachte mir:“2019 wirst du bei der Durchwanderung des Arizona Trail schon genug abspecken“, und aß weiter meine Nachos. Recht sollte ich behalten.
Ich startete mit rund 60 Kilo Körpergewicht im März 2019 an der mexikanischen Grenze und hatte Anfang Mai nach 46 reinen Wandertagen und 1.350 km Strecke 5 Kilo abgenommen, obwohl ich mich stets nur von Kuchen, Keksen, Chips und ähnlich hochkalorischem Essen ernährt hatte.
Wie ist das möglich?
Ein paar Fakten dazu hat die Appalachian Trail Conservancy zu diesem Thema zusammen gestellt:
5.500 Kalorien benötigt ein Wanderer* täglich, um sein Körpergewicht während eines typischen Trekkingtages aufrecht zu erhalten. Anders ausgedrückt: ein Wanderer kann 13 Big Macs am Tag essen und läuft dabei immer noch in ein Kaloriendefizit. Nach ein paar Wochen auf dem Trail setzt bei vielen Thruhikern der sogenannte „hiker hunger“ ein, bei dem es fast unmöglich ist, satt zu werden, egal wieviel man isst.
*ausgegangen wird von einem 8-stündigen Wandertag eines 25-jährigen männlichen Wanderers mit 70 kg Körpergewicht. Bei Frauen wird von einem Kalorienbedarf von etwa 3.500 Kalorien pro Tag ausgegangen.
Durchschnittlich 13,5 kg verlieren Thruhiker auf dem 3.500 km langen Appalachian Trail. Die meisten von ihnen sehen sich den gesamten Weg über einem erhöhten Kaloriendefizit gegenüber, der aus überdurchschnittlicher Anstrengung resultiert. Der Rucksack mit dem gesamten Equipment ist schwer und die Strecke mit vielen Höhenmetern gespickt. Obwohl fast jeder Thruhiker nach dem Prinzip agiert „Was ich sehe, esse ich“, geht der Gewichtsverlust teilweise hoch auf 25 oder sogar 40 Kilo (je nach Ausgangsgewicht). Dabei gibt es natürlich auch immer Ausnahmen. Manche Thruhiker verlieren kaum Gewicht, andere legen sogar (durch Muskelaufbau) zu. Frauen verlieren in der Regel weniger Gewicht als Männer.
Abnehmen mit Spaß
Für mich persönlich, die sowieso die Füße nicht stillhalten kann und den Thruhike des AZT lange geplant hatte, war das die perfekte Diät jenseits der Waage. Statt jeden Tag Kalorien zu zählen und die Waage zu beschimpfen, aß ich, wonach auch immer mir war. Dabei limitierte nur das Essensangebot in meinem Futterbeutel meinen Appetit und Hunger. Da ich ein paar Kilos loswerden wollte, schaute ich aber gerade zum Ende des Trails dann doch immer mal, nicht gleich einen ganzen Carrot Cake auf einmal zu verschlingen.
Dadurch, dass ich die gesamten 1.350 km im selben Outfit unterwegs war, merkte ich den Gewichtsverlust hauptsächlich anhand meiner Kleidung. Das Wanderhemd wurde immer weiter. Etwa alle 7 Tage hatte ich in einem Motel mal die Chance, in einen Spiegel zu schauen. So war die Veränderung für mich noch offensichtlicher. Landschaft genießen, essen und mit dem Idealgewicht nach Hause kommen. Genial! Und viel gesünder fühlte ich mich auch.
Den YoYo-Effekt vermeiden
Schon vor dem Ende des Trails fragte ich mich, wie mein Körper wohl damit umgehen würde, wenn er auf einmal nicht mehr jeden Tag 30 bis 50 Kilometer schrubben muss. Die erste Zeit verbrachte ich in den USA noch recht aktiv und musste nicht allzu sehr auf meine Ernährung achten, um das Gewicht zu halten.
Hier daheim in Deutschland sieht die Sache schon anders aus. Ich bin an meinen Arbeitsplatz zurückgekehrt, verbringe die meiste Zeit des Tages sitzend am Computer und freue mich schon darüber, wenigstens mein Schrittziel von 10.000 Schritten täglich zu erreichen. Eine Tüte Donuts pro Tag verputzen? Gar nicht denkbar.
Also versuche ich, mich in Selbstdisziplin zu üben, vielleicht sogar diese 16:8-Fasten-Methode auszuprobieren, die anscheinend heutzutage jeder zweite macht. Ganz schwer fällt es mir aktuell, mich zum Sport aufzuraffen. Ich war seit meiner Rückkehr gerade einmal laufen und einmal skaten. Ab und zu gehe ich mit meinem Packraft aufs Wasser und eigentlich liegt zu Hause noch das Pump-Set fürs Heimtraining rum, was zusehends einstaubt.
Bislang funktioniert der Gewichtserhalt noch ganz gut. Jedoch merke ich: Spaß macht der Verzicht nicht. Da freue ich mich doch schon wieder auf meinen nächsten Thruhike auf dem Pacific Crest Trail in ein paar Jahren. Bis dahin sammele ich sicher wieder das eine oder andere weihnachtliche Polster ein.[:]