“Du bist doch fit und gesund, was soll schon passieren?” sagten sie. “Du tust doch alles für deinen Körper und die Ausdauer” sagten sie. Trotzdem machte ich mir die zwei Jahre lang, die ich für meine Auszeit an Zeit herausarbeitete, schon Gedanken. Gebrechen kommen bei mir ja immer mal gern unangekündigt. Adduktorenzerrung 2015, Ermüdungsbruch 2017. Irgendwas ist ja immer. Und ich sollte recht behalten.
Vier Wochen vor meinem Abflug grummelte am Sonntag morgen meine untere Magengegend. Na gut, kommt öfter mal vor. Vor allem bei Frauen. Ohne mir weiter darüber Sorgen zu machen traf ich mich mit meiner lieben Lauffreundin Sam, um mit ihr eine 10 km-Laufrunde zu drehen. Meine erste seit recht langer Zeit. Es schüttete aus Kübeln, ich war pudelnass, wie immer verschwitzt, aber gut dabei. Zu Hause angekommen taute ich in der heißen Wanne auf, machte mir Essen, alles war schön. Zum Abend hin schmerzte der Magen wieder mehr. Ruhe und ein heißes Mikrowellentier machten es nicht wirklich besser. Das Aufstehen aus der Liege- oder Sitzposition tat weh. Also ging ich früh schlafen.
Am nächsten Morgen war es nicht viel besser, aber nicht so schlimm, dass ich nicht hätte arbeiten gehen können. Ich zog den Arbeitstag durch, stand aber jedes Mal wie eine alte Frau mit Hexenschuss gebeugt von meinem Bürostuhl auf. Irgendwas stimmte da nicht. Da ich ja in vier Wochen Großes vorhatte, wählte ich dann doch gleich den Weg zu meinem Hausarzt. Der hatte doch sicher was gegen Magengrummeln im Repertoire. Dass hier eventuell der Blinddarm zickte, hatte mir schon am Vorabend geschwant, aber ich hatte die Idee noch für absurd abgetan und verdrängt.
Leider konnte mir mein Arzt mein ungutes Gefühl nicht nehmen. Im Gegenteil. Keine Stunde später fand ich mich in der Notaufnahme des Bethel-Krankenhauses in Lichterfelde wieder und musste mir Blut und andere Körperflüssigkeiten abringen lassen. Hier war man zwiegespalten. Die Entzündungswerte waren da, aber nicht so schlimm, um mich zwangsweise dort zu behalten. “Ein Blinddarm muss heutzutage auch nicht unbedingt mehr operiert werden”, sagt der Doc. Mit Schmerztabletten und Antibiotika bewaffnet wurde ich mich dem Versprechen entlassen, am nächsten Morgen zur Kontrolle vorbeizukommen.
Der muss raus!
Dienstag, 8 Uhr morgens im Krankenhaus. Diesmal wendet sich der Chef meinem Problem zu und drückt mir das Ultraschallgerät an Stellen hinein, die mich aufquietschen lassen. “Ja, der hat sich nach hinten verkrümelt. Und stark vergrößert ist er. Der muss raus. Morgen platzt er sonst.” Das sind Sätze, die man vier Wochen vor dem seit Jahren geplanten Lebenstraum so gar nicht hören will. Aber ich ergebe mich in mein Schicksal. Besser jetzt als auf dem Trail. Den Satz höre ich übrigens in den nächsten Wochen am häufigsten. Dicht gefolgt von: “Jetzt bist du wenigstens noch leichter unterwegs” und “Nun übertreibst du es aber mit dem Ultraleicht”.
Die Ärzte und Schwestern versuchen sich abwechselnd daran, Blut aus mir heraus und Kanülen in mich hinein zu bekommen. Das Blutabnehmen klappt im dritten Anlauf, die Kanüle soll dann unter Narkose gelegt werden. Zwischenzeitlich sehe ich zerstochen aus wie ein Schweizer Käse. Pünktlich um 13 Uhr werde ich samt Bett abgeholt und um 16 Uhr erblicke ich wieder das Licht der Krankenhausbeleuchtung. Ich kann mich ohne Hochzerren am Plastikdreieck nicht alleine aufrichten, der Bauch fühlt sich an, als wäre immer noch ein Alien drin (es ist aber nur ein Schlauch), ich darf immer noch nichts essen und beim zweiten Toilettengang wird mir einfach nur schwarz vor Augen. Großartig!
T Minus 3 Wochen bis zum Trail
Nach vier Tagen im Krankenhaus reicht es mir. Ich wackele so oft über den Krankenhausflur und nerve die Ärzte und Schwestern so oft, dass sie mich am vierten Tag entlassen. Ich bewege mich langsam wie eine Schnecke, untenrum ist immer noch alles komisch und lachen geht nur, wenn ich stehenbleibe. Small steps! Das für dieses Wochenende geplante Schneeschuhwandern in Oslo ist damit auch gestorben. Ein winziger Spaziergang zu meinem geheimen See ist jetzt genau das, was ich für meine Seele brauche.
Bei der Entlassung sagte mir der Arzt, ich solle jetzt 4 Wochen nichts Schweres heben. Wandern und Tragen sei in vier Wochen möglich, ich solle mir aber den Rucksack aufsetzen lassen. Die Geister scheinen sich hier zu scheiden. Beim laparoskopischen Eingriff, der bei mir vorgenommen wurde, solle die Heilung eigentlich schneller passieren, meinen andere Mediziner. Zumindest braucht es jetzt Ruhe und Geduld. Beides Dinge, für die ich jetzt kurz vor meiner Abreise überhaupt keine Zeit habe.
T Minus 1 Tag bis zur Abreise
Ich habe mir Mühe gegeben. Ich war größtenteils ruhig. Wann immer ich es nicht war, hat mir mein Körper das nur zu deutlich zu verstehen gegeben und ich musste wieder einen Gang zurückschalten. Morgen geht es nun los, auf mein großes Abenteuer in Arizona. In zwei Tagen und damit genau vier Wochen nach dem Ausbruch meines Blinddarms werde ich die ersten Wasserkanister in der Wüste verteilen. Mein Blinddarm muss meine Planung genau gekannt haben. Großartiges Zeitmanagement! Warum er allerdings nicht mit wollte auf dieses wunderbare Reise, kann ich nicht verstehen. Wenn sich ein Körperteil hätte im Voraus beschweren können, wären es wohl eher meine Füße gewesen…