Auf dem Florida Trail Tag 2 & 3 – Völlig versumpft

6.30 Uhr. Im Halbdunkel sehe ich eine Stirnlampe über die Lichtung huschen. Ich liege noch in meinen Quilt eingekuschelt im Zelt und bin unwillig, aufzustehen. Mit dem Zeitplan der Jungs kann und will ich sowieso nicht mithalten, denn die beiden wollen bereits um 7.30 Uhr losziehen, um die kühlen Morgenstunden mitzunehmen.

Weil die Blase drückt, wühle ich mich dann doch zehn Minuten später nach draußen und freue mich über einen zauberhaften Sonnenaufgang über der floridianischen Prärie. Dichte Nebelschwaden geben der Graslandschaft zwischen Palmen und Sträuchern in eine mystische Atmosphäre.

Gemeinsam mit Warren und Jason genieße ich den ersten und auch letzten Kaffee des Tages auf der klammen Holzbank und hoffe, dass das Zelt von den Sonnenstrahlen getrocknet wird. Durch die immens hohe Luftfeuchtigkeit ist alles nass. Während ich noch im Schlafanzug vor mich hin sumpfe, packen die Jungs ihre Siebensachen. Es ist schon weit nach halb acht als ich merke:

„Ups, die beiden warten wohl auf mich.“ In Windeseile stopfe ich das feuchte Zelt in den Packsack, meinen Hausrat in den Rucksack, verschwinde mal eben zum Umziehen hinter der nächsten Palme und bin innerhalb von zehn Minuten aufbruchbereit. Wäre es nur im Alltag auch so schön einfach.

Unsere Hoffnung, das Alligatorweibchen noch zu sehen, wird leider enttäuscht. Offensichtlich ist sie Langschläferin. Der Weg führt uns vom Zeltplatz ins offene Gelände, kurz in einen herrlichen Eichenwald, der uns mit den imposanten, farnbewachsenen Eichenbäumen direkt in Avatar versetzt und alsbald auf die nächste Straße. Auch heute ist der Anteil an Asphalt nicht unerheblich und es wird heißer als gestern. Wir tragen es mit Fassung, denn ändern können wir’s ja nicht. Warren versucht, uns die Alternativroute zum Original Trail mit einem kleinen Bistro schmackhaft zu machen. Alternativ heißt: noch mehr Straße statt Sümpfe. Ich winke dankend ab und auch Jason kriegt lieber nasse Füße als weiterhin auf dem Asphalt zu schmelzen.

Unser Übermut wird natürlich mit Schlammwaten belohnt. Knöcheltief versinken wir alle im braunen Modder und freuen uns über kleine Tümpel, um den Dreck abzuwaschen – nur um dann nach fünf Minuten wieder im Schlamm zu versinken. Mir macht das ja irgendwie Spaß, denn es ist mein erstes Sumpferlebnis auf dem Florida Trail. Die beiden Männer allerdings haben schon etliche Kilometer und Tage im schwarzen Wasser hinter sich.

Mit verschlammten Waden und Schuhen kommen wir am späten Nachmittag an unserem Campground an. Da steht bereits ein Zelt und ein schlacksiger Hiker kommt uns zusammen mit seinem fröhlichen Hund begrüßen. Scrarecrow und Oreo – sein schwarzweißer Hund – sind richtige Aussteiger und haben einen Zehnjahresplan, um quasi alle Trails der USA abzuklappern. Er reicht uns erstmal einen Brownie rüber und da sagt keiner von uns nein. Außer Warren, der auf Low Carb unterwegs ist.

Zu viert teilen wir uns die klapprige Campingbank, denn die zweite hat der Rost wohl schon vor langer Zeit hingerafft. Nachdem ich gestern meine selbst dehydrierte Kürbissuppe getestet hatte, kommt heute das selbstgemachte Ratatouille auf den Tisch. Die Männer gucken schon etwas neidisch in meine Schüssel, aber jeder ist am Ende satt und zufrieden. Um 19 Uhr ist wieder Lesestunde und wir haben uns für den nächsten Tag verständigt: wir wandern weiter zusammen. 

Zitronen- und Orangen-Paradies

Nach einem ausgiebigen Frühstück mit Instant-Kaffee und Zitronenkuchen verabschieden wir uns von Scarecrow und Oreo, denn die beiden lassen alles sehr langsam angehen und machen wenige Tageskilometer. Warum auch überstürzen, sie haben ja zehn Jahre Zeit.

Keine fünf Minuten auf dem Trail stapfe ich in einem dichten Palmenwald schon wieder durch knöcheltiefes Wasser. Die Schuhe und Socken waren ja von gestern eh noch nicht ganz trocken.

Mein Zeitplan sieht für die nächsten Tage so aus: heute rund 22 Kilometer, morgen 32, um zum reservierten Campingplatz mit heißer Dusche zu kommen. 32 Kilometer sind für mich im aktuellen Zustand kein Pappenstiel, denn seit meiner Rückkehr aus dem Sabbatical habe ich weit mehr Zeit am Schreibtisch statt auf Wanderschaft verbracht. Daher überlege ich, heute mehr zu wandern, um am nächsten Tag weniger Reststrecke zu haben.

Der Plan ist schön, allerdings ist es heute noch heißer als die Tage zuvor. Wir freuen uns über jeden schattigen Abschnitt durch die semi-tropischen Wälder. Und die versüßen uns die Hitze auf ganz unerwartete Weise. Am Wegesrand und teilweise über den Trail ragen wilde Orangen- und Zitronenbäume mit erntereifen Früchten. Natürlich kann ich der Verlockung nicht widerstehen und schon schleppe ich zwei Orangen und eine Zitrone zum nächsten Pausenplatz. Super saftig sind die Früchte und reich an Kernen. Die Zitronen sind nicht annähernd so sauer wie man es aus dem Supermarkt kennt, die Orangen dagegen kommen der Zitronensäure schon recht nah. Köstlich. Der Fruchtsaft hat sich jedoch überall auf meinen Händen verteilt und ich versuche ihn abzuschütteln. Das veranlasst meine Garmin-Uhr auf einmal wie wild zu quietschen, denn sie meint: Unfall erkannt! Ach was.


Die Hitze ist inzwischen unerträglich geworden. Ausgerechnet jetzt folgt der Trail auf einem nicht enden wollenden Stück einem schattenlosen Graben. Nachdem ich mich schon halb gebacken fühle, warte ich auf Jason, der ein wenig abgeschlagen hinter mir latscht. Irgendwas piekst mich oberhalb meiner Socken und als ich nach unten schaue, sehe ich dutzende kleine, rote Ameisen über meine Füße wuseln. Ich habe mich mitten in einen Ameisenhaufen gestellt. Wie eine Irre wische ich die Viecher von meinen Beinen und löse damit erneut eine Unfallmeldung mit der Uhr aus. Zu meinen schon rund fünfzig Mückenstichen vom ersten Tag gesellen sich nun noch etwa dreißig Ameisenbisse. Fantastisch!

Relativ vorfallsfrei geht der Rest des Tages vorbei. Wir bedienen uns an einem kleinen Bach und hoffen auf einen Wassercache in der Nähe einiger Straßen, die wir kreuzen. Leider vergeblich. Die letzten Kilometer führen wieder nur über Asphalt. Im Zombiemodus ertragen wir unser Schicksal, aber ich habe schon die Entscheidung getroffen: ich gehe heute keinen Schritt weiter als ursprünglich geplant. Dann sind’s halt morgen 32 Kilometer. Der Wetterbericht verspricht zudem eine erhebliche Abkühlung über Nacht. Heftiges Unwetter ist angesagt. Ziemlich dehydriert kommen wir am Campground an und danken dem Engel „Waterboy“, der hier jede Menge Wasser deponiert hat.

Im Dixieklo finden wir eine riesige Flasche Desinfektionslotion und nehmen erstmal ein ordentliches Bad damit. Ziemlich dicht rücken wir mit unseren Zelten unter einem gigantischen Eichenbaum zusammen, denn das scheint der beste Platz für die angesagten Gewitterstürme zu sein. Tornados nicht ausgeschlossen. Ein wenig unwohl ist mir schon…