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Wenn es einen Wettkampf um die schönste Medaille geben würde, dürfte der Schneeglöckchenlauf mit seinen klingelnden Keramik-Schneeglocken sicher ganz weit vorne liegen. Irgendwo im Nirgendwo in Brandenburg direkt an der Grenze zu Sachsen fand diesjahr die siebte Auflage dieses Events statt. Und ziemlich sicher sind die bunten Medaillen ein nicht unerheblicher Grund, warum sich trotzdem rund 1.500 Läufer in das ländliche Örtchen Ortrand verlaufen.
Schon letztes Jahr hatte ich die anderthalb Stunden Fahrzeit auf mich genommen. Klar. Wegen dem Glöckchen. Wettkämpfe gibt es in Berlin genug, aber meist nur ideenlose Metallmedaillen, die sich nicht groß voneinander unterscheiden. Super zufrieden war ich mit meinem orangen kleinen Glöckchen nach dem 10 km Hüttenlauf nach Hause gefahren. Und dennoch habe ich ziemlich neidisch auf die Riesenmedaillen geschielt, die die Finisher über 30 km erhielten. Irgendwann, sagte ich mir. Irgendwann machst du das vielleicht mal und holst dir auch die große Glocke. Dass „irgendwann“ schon ein Jahr später sein würde, hätte ich an dem Tag nicht für möglich gehalten.
Warum dann doch schon so schnell? Die Antwort liegt in Frankreich. Genauer gesagt in Paris. Weil ich mich für den dortigen Marathon angemeldet hatte und damit auch ein entsprechendes Training einherging, dachte ich mir, kann ich auch in Vorbereitung einfach mal die 30 km beim Schneeglöckchen laufen. Quasi als letzten LongRun vor dem Tapering. Keine Ausrede und eine große Glocke als Belohnung. Ein bisschen mulmig war mir dennoch, als ich bei der Anmeldung die 30 anklickte. Mit meiner Euphorie hatte noch einige andere angesteckt, so dass es zwischenzeitlich so aussah als würde ein Auto rappelvoll mit Berlinern nach Ortrand fahren. Am Tag der Entscheidung waren wir dann aber aus unterschiedlichsten Gründen doch nur noch zu zweit.
Auf nach Ortrand
Um 10:30 Uhr ging es wieder los. Also ab Berlin. Startzeit für alle Distanzen war ja erst um 13 Uhr. Den zeitlichen Puffer brauchten wir auch, weil wir zum einen eine Extrarunde in Waltersdorf drehten (wenn Frauen quatschen, verpassen sie halt mal ne Abfahrt) und zum anderen für eine Schrecksekunde dachten, gar nicht mehr rechtzeitig zum Lauf zu kommen. Wenn der Verkehrsfunk für eine zweispurige Autobahn ansagt, beide Spuren seien wegen eines Unfalls gesperrt, verheißt das nichts Gutes. Da das Wort „Vollsperrung“ aber nicht fiel, fuhren wir voller Optimismus direkt rein in den Stau. Selten, aber doch ab und zu wird der sogar belohnt: der Standstreifen wurde als Fahrspur genutzt. Der Zeitverzug war also noch im Rahmen.
Ein Parkplatz war wie gewohnt auf einer großen Wiese organisiert. Ein paar Schritte weiter ging es zum Stadion und zur Pulsnitzhalle, wo wir unsere Startunterlagen bekamen. Sam, meine liebe Begleiterin, bekam ein blaues Nummernschild für 10 km und ich ein dunkelviolettes für die brachialen 30 km. Unsere Taschen ließen wir mangels Kleiderabgabe und Lust, nochmal zum Auto zurück zu gehen, einfach in der Halle am Rand stehen. Nur noch ein paar Minuten bis zum Start. Schnell ein Foto gemacht und einlaufen für Sam. Da sie ihre Halbmarathongeschwindigkeit testen wollte, ich aber meine Marathon-Pace, verabschiedeten wir uns schon am Start voneinander.
Los gings und wieder mal hatte ich mit den „Stöckchenschwingern“ zu kämpfen, die mir ihre Spitzen in den Fuß rammen wollten. Fand ich nicht so gut und suchte Abstand. Der war aber nicht so leicht auszumachen, die ersten Kilometer waren richtig eng gedrängt.
Erst als sich ca. 4 km die 10 km-Läufer trennten, wurde es ein wenig aufgeräumter.
Da kamen allerdings auch schon die schnellsten 10 km-Läufer entgegen. Überhaupt muss man bei dem Lauf mit viel Gegenverkehr rechnen. Auf dem Waldweg, auf den die 15 und 30 km dann abbogen, konnte man noch schön nebeneinander laufen. Als aber nach gut 5 km auch schon die ersten 15 km-Läufer entgegen kamen, war nur noch einspurig angesagt. Besonders baff war ich, als plötzlich hinter mir ein Kinderwagen mit Mann dran klingelte und vorbei wollte. Sowas gibt’s auch nur auf dem Land.
Mitten im Wald auf einer Lichtung stand dann auch noch eine Kapelle und feuerte die Läufer mit ihrer Musik an. Toll!
Aus dem Wald ging es raus aufs Feld und hinein nach Sachsen. Mitten auf dem Feld kam dann der Wendepunkt für die 15 km Läufer. Schade, dass meine Vorderfrau zu denen gehörte und umdrehte. Sie hatte so eine schöne Geschwindigkeit gehabt. Ab hier wurde das Feld (diesmal meine ich das Läuferfeld) sehr übersichtlich. Nachdem ich Ortrand und Kroppen hinter mir gelassen hatte, war als nächstes Naundorf zu durchqueren. Schon drei Verpflegungsstände hatte ich verschmäht, denn ich war heute als Selbstversorger mit Trinkblase und Snacks unterwegs. Nach 10 km erblickte ich in Lüttichau aber, was ich schon sehnsüchtig erwartet hatte: Kuchen! Ich schnappte mir ein Stück im Vorbeilaufen und versuchte, nicht am süßlich-saftigen Zimt-Apfel-Streuselkuchen zu ersticken. Köstlich!
Es folgte wieder Feld und dann Wald. Und dann kam er, der Berg! Eine Woche vorher hatte ich mir fatalerweise nochmal die Strecke inklusive Höhenprofil angesehen. 110 HM direkt vor dem Wendepunkt. Och nö! Auf gings. Im wahrsten Sinne des Worte. Ich keuchte den Berg hinauf, während mir die Schnellsten schon den Berg herunter entgegen geschossen kamen. Ja, ihr könnt Spaß haben! Mit zunehmender Steigung nahm auch die Anzahl und Größe der Pfützen sprunghaft zu. Teilweise gab es nur eine kleine Schneise in der Mitte, in der nun sowohl Läufer nach oben als auch nach unten wollten. Irgendwie überlebte ich den Aufstieg kollisionsfrei, um dann festzustellen, dass ich zum Wendepunkt erstmal wieder hinab laufen durfte.
Während meines Laufs überlegte ich (denn bei 30 km hat man jede Menge Zeit dafür), wie die Organisatoren wohl sicherstellten, dass jeder auch bis zum Wendepunkt lief und nicht einfach zwischendrin umdrehte. Im digitalen Zeitalter denkt man ja gleich an Zeitmessmatten. Nein. In Sachsen, da sitzt ein Mädel bewaffnet mit Stift und Zettel an ihrem Klapptisch und notiert jede Startnummer, die am Wendepunkt ankommt. Einfach, effektiv, garantiert geschützt vor Hackerangriffen! Ich bedankte mich höflich für die tolle Verpflegung (Bananen, Schokolade, Brezeln, Schokoriegel, Nüsse…), lief einmal symbolträchtig um das 30 km-Wendeschild herum und erklomm wieder den Berg. Fast Halbzeit!
Jetzt lief ich endlich allen restlichen 30ern entgegen. So bekam ich zumindest auch mal einen Eindruck dafür, dass ich nicht die Letzte war. Nicht die Vorderste oder im Mittel, aber auch nicht die Letzte. Der Rückweg schien erstmal viel leichter. Klar, ging ja auch bergab. Wie beim Rennsteiglauf wurde ich ein wenig übermütig und lief immer schneller, machte ja auch Spaß! In Lüttichau pfiff ich mir das zweite Stück Kuchen rein. Einen Ort weiter, in Naundorf, bot ein Feuerwehrmann entweder Wasser, Cola oder eine Umarmung an. Nach 21,5 km nahm ich doch die Umarmung und Cola. In der Reihenfolge. Nach ausgiebigem Knuddeln gings weiter. Ein bisschen peinlich wars mir ja, so verschwitzt wie ich war. Aber Leute von der Feuerwehr sehen wahrscheinlich schlimmeres.
Im Gegensatz zur Umarmung war die Cola keine gute Wahl gewesen. Die Kohlensäure wollte ständig wieder an die Luft. Zwischenzeitlich kam dann auch mal die Sonne hervor. Größtenteils war es aber bedeckt bei etwa 8 Grad. Für mich perfektes Wettkampfwetter.
Nach 24 KM fragte ich mich, was da so schwappt. Das Restwasser in meiner Trinkblase oder mein Bauch. Die nähere Analyse des In-Mich-hinein-Horchens ergibt: es ist mein Bauch. Allerdings habe ich die Kombination mit meiner Kompressions-Tight in Verdacht. Bislang hatte ich schwappenden Bauch nur mit dieser Hose. Seltsam. Und nervig. Zu dem nervigen Schwappen kommt einen Kilometer später noch ein weiteres Geräusch hinzu. Siri vom iPhone möchte ständig mit mir sprechen. Irgendwas drückt da wohl auf dem Telefon herum. Telefon aus der Brusttasche meines Laufrucksacks gefischt und umgedreht. Siri will immer noch quatschen. Ein paar Sekunden später merke ich, dass das gar nicht meine Siri ist, sondern die der Vorläuferin. Und die scheint das mal gar nicht zu tangieren. Also nehme ich die Beine in die Hand und überhole die Frau mit Nervenkostüm wie Drahtseile (zumindest was Siri-Gequatsche angeht).
Endlich komme ich am zweiten Teil der Schleife für die 10 km-Strecke an. Es geht bergauf (schon wieder), in ein Wäldchen und zum Schlosspark. Dann wird der Weg so schmal, dass wieder nur Gänselaufen angesagt ist. Ich überhole noch mal. Ein wenig Kraft ist noch da. Außerdem will ich ja irgendwann mal ankommen. Der Dauerregen vom Morgen hat den Waldweg schön aufgeweicht und matschig gemacht. Ein Wildschwein hätte sich pudelwohl gefühlt. Meine Füße kleben am Boden fest als würde ich durch Honig laufen. Der Weg wird nochmal schmaler und plötzlich sind alle weg. Vorne und hinten. Einen kurzen Moment zweifle ich, noch richtig zu sein.
Es geht wieder vom Wald aufs Feld und dort stehen auch die ersten zwei von vier Zuschauern. Nur noch 1,5 km. Durch den Tunnel und durchs Stadion. Ja, das Stadion, das hatte ich schon verdrängt.
Ich hasse das. Wenn ich kurz vorm Ziel nochmal eine Runde durchs Stadion traben darf. Ob es das Olympiastadion in Berlin oder der Pulsnitzer Fußballplatz ist. Ich kassiere noch einen Läufer. Der rote Zielbogen lacht mich wieder hämisch aus, denn ich weiß: hier ist nicht das Ziel.
Ich renne durch den Bogen, an der Halle vorbei und knalle fast gegen die Wand, weil ich die Tür in die Halle früher erwartet hatte. Nochmal die Kurve gekriegt. Ich laufe in die Halle, werde angefeuert, freue mich. Geschafft. 30 km. Jetzt will ich aber meine große Glocke!
Die Glocke ist riesig! Und bimmelt wie eine Kuhglocke. Ich liebe sie! Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass mir Macie Le (ich weiß leider nicht mal deinen richtigen Namen) aus unserer Mammutmarschgruppe mir ihre vom 15 km-Lauf zeigte… und es dieselbe ist. Egal. Da wäre die Verführung nur wieder groß gewesen, nur die Hälfte zu laufen. So kann ich aber mit Stolz sagen: ich hab für meine Glocke 30 km gerockt!
Nächstes Jahr werde ich trotzdem 15 km laufen. Um alle Distanzen voll zu haben. Dann fange ich vielleicht wieder von vorne an!
Zu futtern gab es auch im Ziel Schokolade, Brezeln, Nüsse, Gurken, dazu Leberwurststullen und Fruchtcocktail. Duschen gab es auch. Hätte ich das gewusst, hätte was mitgenommen. Stattdessen fuhr ich nur wie ein eingelegter Salzkrebs wieder nach Hause. Der Sonne entgegen. Sam war so lieb, hatte auf mich gewartet und mich nach Hause gefahren. Diesmal auf dem direkten Weg ohne Schleife über Waltersdorf.
Tschüss, Spreewald! Wir sehen uns in vier Wochen zum Halbmarathon in Lübbenau. Oder in zwei Wochen. Zum Paddelmarathon, wenn das Wetter mitspielt.
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Glückwunsch zu deinem Finish. 🙂
Ich hatte auch kurz überlegt da an den Start zu gehen (liegt ja fast vor der Haustür *hust) musste dann aber aus Gründen passen. Ich mag den Spreewald und die “Medaille” ist die Reise ja mehr als wert 😉 Macht auf jeden Fall Lust den für nächstes Jahr auf den Plan zu schreiben.
Danke, lieber Eric! Ich kann den Lauf wirklich nur empfehlen. Auch die Versorgung ist großartig. Vielleicht sehen wir uns ja nächstes Jahr dort.
das letzte ist so ein schönes Bild von euch! Wie toll du den 30er gerockt hast. Kanns kaum erwarten den Bericht aus Paris zu lesen und dann bist du ein Marathoni!
Awww, danke 🙂 Ich freue mich inzwischen auch schon richtig auf Paris. Ich hab Bammel, aber ich freu mich! Und wenn ich mich mit den Zähnen über die Ziellinie ziehe! Juhu, Marathoni!
Hey:-), erstmal großes Lob für deinen super Bericht! Besser hätte man es nicht schreiben können. Habe den Lauf gerade nochmal erlebt:-D… P.s. Ich bin die auf dem Bild oberhalb deines ” Kuchenselfies” hihi
Liebe Grüße Jeany
Jeany, das ist ja witzig 🙂 Ich hatte mich eine ganze Weile an deine Fersen geheftet, weil du so ein schönes Tempo drauf hattest. Nach dem Berg und dem Wendepunkt hab ich dich leider nicht mehr gesehen. War ein toller Lauf! Vielleicht sehen wir uns ja nächstes Jahr dort wieder.
Hey liebe Carola, ich glaube eher im Spreewald auf Gurkenjagt :-P… sind uns scheinbar schon oft über den Weg gelaufen. Sag nur Frostwiese, Himmelswegelauf, Sachsentrail und bei den Moon Joggers bin ich jetzt auch dabei;-)! Echt lustig. Viel Erfolg bei deinem Marathon, der 1. ist der Schönste! Wir laufen eine Woche später in Rom.
Das ist ja witzig, wir scheinen ein Faible für die gleich Veranstaltungen zu haben 🙂 Bist du am Samstag oder Sonntag im Spreewald unterwegs? Moon Joggers? Kenn ich gar nicht. Oh, danke, ich freu mich schon auf Paris. Und viel Erfolg natürlich für euch in Rom!
Moon Joggers ist auch ein Virtual Run, wie die Jedi Challenge:-), bin ja mal gespannt ob die Medaille aus den Staten kommt. Wir sind von Freitag bis Sonntag im Spreewald. Bis jetzt bin ich nur zum Nachtlauf angemeldet, muss erstmal schauen ob nach dem Marathon noch eine Reserve übrig ist für den “Halben” in Lübbenau. Wäre toll wenn wir und dort mal sehen würden :-)… Werde deine Berichte verfolgen!
Moon Joggers… klingt interessant. Hab schon mal kurz auf die Seite geschaut. Ich bin auch sehr gespannt, wann die Medaillen endlich kommen. Abgeschickt sind sie (angeblich). Der HM in Lübbenau wird für mich ein ganz gemütlicher. Mit Spreewald schauen und Kuchen essen 🙂 Da ich dich leider nur von hinten gesehen hab, sprich mich ruhig an, wenn Du mich siehst. Oder wir machen einfach was aus, falls wir bei derselben Veranstaltung sein sollten. Bist du auch wieder beim Sachsentrail dabei?
Mit dem Sachsentrail bin ich mir noch nicht sicher, an dem WE ist in Chemnitz der Marathon und da ich aus Chemnitz komme wäre der eigentlich auch mal an der Reihe ;-). Aber dieses Jahr höchstens als “Nachmelder”, denn wer weiß ob der Wettergott uns wieder grillen will. Hier ist meine eMail…
Da kann ich dir meine Nummer schicken und dann schauen wir mal ob wir uns im Spreewald sehen 🙂 wäre toll!
Das schaffen wir. Spreewald steht. Eine Mail bekommst du von mir. Spätestens nach Paris 🙂
Ich drück dir wie verrückt die Daumen :-)!
Danke 😀 Das kann ich gut gebrauchen