Einmal das vordere Kreuzband ersetzt zu bekommen, ist schon keine besonders schöne Erfahrung. Wenn dir aber nach rund zwanzig Jahren bei einer eigentlich ganz anderen Untersuchung des Knies vom Orthopäden deines Vertrauens gesagt wird, dass es komplett instabil sei und er an meiner Stelle und mit meinen Plänen das nochmal machen lassen würde – dann, ja dann werden alle Erinnerungen der damaligen Tortur wieder sehr lebendig.
Vor zwanzig Jahren, nach meinem Skiunfall, hieß das: Kreuzbandplastik aus der Semitendinosus-Sehne, zehn Tage Krankenhausaufenthalt, zwei Wochen an Krücken und sechs Wochen Ausfall auf der Arbeit. Nun ist damals zum Glück nicht mehr wie heute. Viele Prozesse wurden stark verkürzt und die Krankenhäuser entlassen die Patienten lieber früher als später nach Hause. Thrombosespritzen kann man sich schließlich auch selbst geben.
Wenn das Kreuzband wieder reißt – Kreuzbandplastik in zwei Akten
Im ersten Moment nahm ich die Aussicht auf eine erneute Operation des Kreuzbandes den Umständen entsprechend gelassen. Schließlich war mein Knie seit der ersten nie ganz perfekt gelaufen. Immer wieder sprang es mal aus der „Halterung“, wollte der Oberschenkel in eine andere Richtung als das Schienbein. Rotationsinstabilität nennt der Fachmann das. Die wurde in den letzten Jahren auch immer schlimmer und hatte letztlich dazu geführt, dass zum einen das Kreuzband wieder hinüber war und auch der Meniskus inzwischen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Mein Orthopäde stellte mir daher drei verschiedene Optionen vor, die eintreten konnten:
- Die Bohrkanäle der alten Kreuzbandplastik liegen so gut, dass diese bei der erneuten Plastik nicht stören und das vordere Kreuzband kann zusammen mit dem Meniskus in einer Operation behandelt werden.
- Die Bohrkanäle müssen erst mit Knochenmaterial gefüllt werden, verheilen und dann das Kreuzband nach rund drei bis sechs Monaten in einer zweiten Operation wiederherstellt werden.
- Wie 2., nur dass zusätzlich der Meniskus genäht und nicht nur ein bisschen geglättet werden muss. Das wiederum hieße, statt nur zwei Wochen an Krücken gehen zu müssen, ganze sechs Wochen an Gehhilfen ohne Belastung.
Natürlich hoffte ich im Juni, als es zur Operation unters Messer ging, auf Variante 1). Was es werden würde, sollte ich erst nach der OP erfahren. Man müsse schließlich reingucken, um zu wissen, was zu tun ist.
Bohrkanäle zuspachteln
Leider lagen die Bohrkanäle bei mir nicht ideal, so dass die Chirurgen im ersten Schritt tatsächlich nur die alten Bohrkanäle mit Knochenmaterial füllen konnten. Zudem wurde hier auch gleich noch der Meniskus mitgemacht. Zu meinem großen Glück musste er zwar genäht werden, aber so unkritisch, dass ich dennoch gleich nach der OP voll belasten durfte. Auch wenn sich das erst einmal anhört, als könne man sofort aus dem Krankenbett springen und los latschen, sieht die Realität doch anders aus.
Das Bein war ziemlich steif und es dauerte etwa fünf Wochen, bis ich einigermaßen rund lief. Übers Fahrradfahren hangelte ich mich langsam wieder auch an andere Sportarten heran. Nach rund acht Wochen konnte ich meinen geplanten Wildwasserkurs in meinem Packraft durchführen, nach zehn Wochen durch das Elbsandsteingebirge wandern und nach drei Monaten sogar noch einen ausgedehnten Bikepacking-Urlaub in Schweden machen. Das Knie machte mit.
Zweite Wahl beim Kreuzbandersatz – die Quadrizepssehne
Mitte Oktober ging es dann erneut ins Krankenhaus. Zwischendurch hatte ich mir des Öfteren die Frage gestellt, ob das denn überhaupt noch notwendig sei. Es lief doch alles so gut. Aber mehrere Fachärzte bestätigten: das Knie ist instabil. Wenn ich weiterhin tausende Kilometer mit Gepäck wandern will, komme ich um ein neues Kreuzband nicht herum.
Wieder wachte ich im Krankenbett mit einem dicken, weißen Verband auf. Wieder mühte ich mich mit dem Fläschchen für Wundflüssigkeit ab. Mit den Krücken durch das Krankenhauszimmer und Bad zu jonglieren, war kein Spaß. Nach knapp zwei Tagen wurde ich aber schon wieder entlassen. Im eigenen Bett schläft es sich ja doch besser und in Zeiten von Corona erst recht.
Wieder auf die Beine kommen
Zwei Wochen an Krücken vergingen schier endlos. Mit Stoffbeuteln um den Hals transportierte ich Dinge von A nach B, da ja beide Hände voll waren. Trotzdem wagte ich mich zumindest mal für einen Kilometer mit Krücken auf einen Spaziergang im Wald. Ab der dritten Woche war ein absolutes Highlight, mal eine Kaffeetasse in einem Schwung von einem Zimmer ins nächste tragen zu können, ohne sie ständig zwischendurch irgendwo abzustellen.
Bei jedem Arzt- und Physio-Termin war jeder stets zufrieden mit meinem Fortschritt. Jeder außer mir. Dank der Motorschiene konnte ich mein Knie schon nach zwei Wochen auf 90 Grad beugen. Trotzdem fühlte es sich schwer an und an geschmeidiges Treppe rauf- oder runtergehen war nicht zu denken. „Geduld und Arbeit – das liegt jetzt vor Ihnen,“ so mein Arzt. Immer wieder schaute ich auf das Therapieblatt zum Kreuzbandriss, das man mir im Krankenhaus überreicht hatte. Laut dem sollte ich schon viel weiter sein. Leider berücksichtigt dieses Faltblatt nicht, ob es sich dabei um den ersten Kreuzbandersatz handelt oder einen wiederholten.
Geduld ist eine Tugend
Nach nun knapp zehn Wochen bin ich eine gute Woche ohne die Gelenkorthese unterwegs. Ab einem bestimmten Moment hatte ich nur noch das Gefühl, dass sie auf meine doch recht lange Narbe drückt, die einmal längs über das Knie verläuft. Es ist schon ein erheblicher Unterschied, ob das erstbeste Implantat, die Semitendinosus-Sehne, entnommen und als Ersatz verbaut wird oder ob der sonst so kräftige Oberschenkelmuskel dafür herhalten muss.
In meinem Plan finde ich für Woche 7 bis 12 folgende Empfehlung: „Befund- und beschwerdeadaptierte sukzessive Reintegration in den aktiven Leistungssport.“ Nun, daran kann ich im Moment leider noch gar nicht glauben. Nach meinem ersten, sehr optimistischen Versuch einer längeren Wanderung von rund siebeneinhalb Kilometern sagte mir mein Knie am nächsten Tag erstmal „Nee danke“. Aber was möchte man auch bei nur 40 Minuten Physiotherapie pro Woche erwarten? Dagegen beruhigt mich die Recherche zur Rehabilitation von anderen Kliniken dann doch. Hier spricht man von Krankengymnastik in Woche 7 bis 12 und erstem Lauftraining nach vier Monaten. Es ist, auch moralisch, immer wichtig, sich eine weitere Meinung einzuholen.
Die lange Aufbauphase wäre ich ja zu gern im Fitnessstudio angegangen. Gezieltes Muskeltraining ist nun extrem wichtig. Nun sitzen wir wieder im Lockdown fest, alle Fitnessstudios sind geschlossen. Was bleibt, ist wieder einmal Heimtraining mit den passenden Geräten. Und wenn es die Temperaturen erlauben, werde ich mich in den nächsten Tagen mal auf meinem Fahrrad probieren.
Mein Arzt wird wohl recht behalten. Es braucht viel Geduld und Arbeit. In diesen Zeiten ist es ohnehin schwer, große Ziele zu planen und umzusetzen. Trotzdem bleibe ich optimistisch, dass die TGO Challenge im kommenden Mai mein Wander-Comeback sein wird. Und das große Ziel, der Pacific Crest Trail in 2022, ist weiterhin fest in Planung. Schließlich will das brandneue Kreuzband ja genutzt werden.