Am Morgen des 9. April brechen Ranger und ich zeitig auf. Es soll der vorerst letzte von drei superheißen Tagen sein – ausgerechnet auf einer Etappe des AZT, auf der es keine Wasserquellen gibt. Eigentlich hatte ich hier im März vor Beginn des Trails einige Wasserkanister lagern wollen, aber mein Mietauto war absolut nicht für die Straßenbedingungen ausgelegt, die hier vorherrschen.
Umso glücklicher war ich, als ich vor ein paar Tagen in der Guthook-App las, dass ein Trail Angel hier gerade eben etliche Kanister vorbeigebracht hatte. Und tatsächlich: in der Supplybox am Telegraph Canyon finden wir genug Wasser, um die Etappe auch bei über 30 Grad und greller Sonne zu überstehen.
Eine Siesta zur größten Mittagshitze ist trotzdem notwendig. Schatten ist hier ein Fremdwort. Wenn man kilometerweit nur einen einzigen Baum sieht, dann nimmt man sich dessen an. Etwa zwei Stunden liegen Ranger und ich im Schatten des strauchartigen Gestrüpps und hoffen, dass das Schlimmste vergehen möge. Aber irgendwann müssen wir aufbrechen und weiterschwitzen.
Gegen 15 Uhr kommen wir am Picketpost Trailhead an. Von hier möchte Ranger ins Städtchen Superior gelangen und versucht, über sein Telefon einen dort ansässigen Trail Angel zu erreichen. Just in diesem Augenblick hält hinter uns ein Auto und zwei Frauen steigen aus. Marie-Jo, kurz M. J., hat eine Hikerin gerade zum Trail zurückgefahren und fragt uns, ob sie uns helfen kann. Ranger ist gleich dabei. Mein Plan ist, noch ein paar Kilometer weiter zu wandern und zu zelten. Warmes Abendessen, eine Dusche, ein Bett und die Gelegenheit, Wäsche zu waschen, überzeugen mich aber dann doch und ich steige mit ins Auto. Kaum losgefahren, sehen wir Larryboy am Straßenrand stehen, der eigentlich wieder zurück zum Trail will. Kaum haben wir ihm alle Vorteile einer Übernachtung bei M. J. aufgezählt, sitzt er schon neben mir und es geht nach Superior.
Marie-Jo und ihr Mann, der übrigens den Wassercache am Telegraph Canyon befüllt hatte, entpuppen sich als die großartigsten, selbstlosen Trail Angel, die ich auf dem Weg treffe. Sie freuen sich über jede Anekdote von uns, zeigen uns den besten Supermarkt und ich esse dort den besten Apple Pie meines Lebens. Die Nacht verbringe ich zusammen mit einem ihrer Hunde im Schlafzimmer auf einer Schaumgummimatte.
Superstition Mountains
Nach der erholsamen Nacht starten wir zu dritt in die Superstition Wilderness. Ein Gebiet, in dem es vor Klapperschlangen nur so wimmeln soll. Aber die Superstitions sorgen für mehr als eine Überraschung und unglaublich tolle Ausblicke. In einer Wasserquelle, einer Tiertränke, soll es Goldfische geben. Das sagt zumindest meine App. Neugier ist der Tod der Katze und so wandere ich, obwohl ich noch genug Wasser habe, den kleinen Umweg zu besagter Tränke. Was ich dort im Betonbecken vorfinde, ist trübes, grünliches Wasser. Keine Spur von Fischen. Nachdem ich aber ein wenig mit den Händen im Wasser herumspiele, kommen tatsächlich knallorange Goldfische an die Oberfläche und stupsen meine Finger an. Mitten in der unsäglich heißen Wüste. Wie ich später lerne, sorgen Goldfische für eine gute Wasserqualität, indem sie die Tiertränke algenfrei halten. Die Goldfische sind dort schon seit Jahren eifrig am Pflegen.
Bunte Frühlingsblumen begleiten mich und das Gras entlang des Trails wird allmählich immer höher. So hoch, dass ich darin einfach verschwinde. Ich kämpfe mich den steilen Pfad durch die wilde Graslandschaft und komme am späten Nachmittag am Reavis Pass an, wo etliche schöne Zeltplätze auf die müden Wanderer warten. A room with a view. Die gesamte Gegend hier ist geprägt vom Namen Reavis. Es ist wenig bekannt über den sogenannten „Einsiedler“ Elisha Reavis. Einst zog er in die Superstition Mountains und fand an einem rauschenden Bach fruchtbares Land. Noch heute findet man Relikte der Reavis Ranch wie Eisengerät und sogar knorrige Apfelbäume, die er dort angepflanzt hat.
Die Superstition Mountains scheinen auch das Gebiet zu sein, in dem die Trail-Erbauer vergessen haben, dass es Serpentinen gibt. Die Auf- und Abstiege in die Berge führen schnurstracks und extrem steil nach oben bzw. unten. Zum Glück ist mein Rucksack schon recht leer und leicht, denn morgen gibt es Nachschub an der Roosevelt Lake Marina.
Die allerersten Gäste
Fast jeder Arizona Trail-Thruhiker sendet ein Paket an die Marina in Roosevelt Lake. Zwischen Superior und der nächsten Einkaufsmöglichkeit in Payson oder Pine liegen etliche Tagesmärsche und die Auswahl an Nahrungsmitteln im Shop der Marina ist sehr überschaubar und teuer und macht daher das Lagern selbstzusammengestellter Versorgungspakete notwendig. Obwohl die Marina (derzeit noch) Pakete der Wanderer annimmt, merkt man schon bei der Ankunft, dass man als Thruhiker nicht der Zielgruppe entspricht. Obwohl sowohl Ranger als auch ich einiges im Shop kauften, wurden wir darauf hingewiesen, dass wir uns Flaschen nicht mit Wasser auffüllen dürften und unsere Boxen bitte fernab der anderen Besucher sortieren sollten. Ein Aufladen der Geräte für die Dauer des Aufenthalts wurde ebenfalls untersagt, obwohl wir sogar als allererste Gäste in das neu eröffnete Restaurant einkehrten und nicht wenig bestellten. Einige Angestellte schienen mehr genervt von uns und unseren Paketen zu sein.
Frisch gestärkt von Burger und Bier machen wir uns mit unseren prallgefüllten und ultraschweren Rucksäcken an den Aufstieg in die Four Peaks Wilderness. Die Höhenmeter haben es in sich und die Extra-Kilos an Essen lassen uns oft für Mikropausen anhalten und einen Blick zurück auf Roosevelt Lake werfen. Die riesigen Saguaro-Kakteen lassen wir nun endgültig hinter uns.
Wir wollen es bis Buckhorn Creek schaffen, der ersten und einzigen Wasserquelle über viele, viele Kilometer. Violette Lupinen, strahlend gelber Mohn und ein Regenbogen in der Ferne sorgen mal wieder für mehr als einen Fotostop, bevor wir am späten Nachmittag am kühlen, glasklaren Bach ankommen. Es ist Platz für genau zwei Zelte. Natürlich wissen wir schon jetzt, dass sich das Zelten direkt am Bach mit reichlich Kondensation rächen wird, aber der Platz ist zu schön, um einen anderen zu suchen.
Da es in der Nacht zum ersten Mal richtig regnet, haben wir Mühe, die Zelte zum Aufbruch am nächsten Morgen trocken zu bekommen. Innen und außen hängen dicke Tropfen von der dünnen Plane. Als die Sonne ihre ersten Strahlen in den kleinen Canyon wirft, ist der Trocknungsprozess aber schnell abgeschlossen.
Bei unserem Aufstieg haben wir die vier herausstechenden Gipfel, die der Four Peaks Wilderness ihren Namen gaben, immer in Sichtweite, während sich der Trail an der Bergkante entlang schlängelt. Der Tag heute ist lang und heftig. Mehr als 1.000 Höhenmeter und fast 33 Kilometer stehen auf meiner Uhr, als wir am Abend des 13. April am Little Pine Flat ankommen. Schnell sind die Zelte aufgebaut und Essen gekocht, denn die Nacht schickt sich an, sehr kalt zu werden.