Tag Archives: Erkner

[:de]Mammutmarsch 2016 – Abbruch in der Nacht: Wenn die Sanitäter ausgehen[:]

[:de]Mammutmarsch 2016 Titel

Der Mammutmarsch. Das Ereignis des Jahres, vor dem ich sogar noch vor dem Paris-Marathon am meisten Respekt hatte. Respekt, der einigen Teilnehmern anscheinend gefehlt hat. Dass eine an sich harmlos erscheinende Wanderveranstaltung alle Einsatzkräfte der Region anziehen könnte, damit hat wohl am Anfang niemand gerechnet.

Mammutmarsch 2016 TechnikzooAm Tag vor dem Ereignis erreichten mich über meine Teamgruppe bei Facebook schon zahlreiche Bilder mit gepackten Rucksäcken und individueller Verpflegungsauswahl. Zum ersten Mal kam ich mir ein wenig unvorbereitet vor. Ich. Ja, ich. Meinen Rucksack wollte ich erst kurz vorm Abflug final packen und meine Essensauswahl war auch noch nicht fix. Zumindest aber meinen Technikzoo hatte ich schon bereit gelegt und mein USB-Lader lief auf Volllast. Stirnlampe, Actioncam, Handy, Powerbank, zwei GPS-Uhr, ein Activity Tracker, Bluetooth-Kopfhörer… alles wollte nochmal richtig voll werden.

Um die 24 Stunden-Wanderung durchzustehen wäre es sinnvoll gewesen, mal richtig auszuschlafen. Deswegen war ich am Samstag auch schon wieder um halb sieben wach. Danke, Körper. Wenn du wüsstest, was auf dich zukommt, hättest du mich mal schlafen lassen! Kurz vor der Angst drapierte ich meine Siebensachen auf dem Fußboden, sortiert nach Non-Food und Food. Ich hatte irgendwie das Gefühl, zu wenig Essen eingeplant zu haben. Aber beim geistigen Durchgehen der einzelnen Versorgungspunkte, für die ich schon vorsortiert hatte, befand ich: das muss reichen! Um nicht unnötig viel Wasser mitzuschleppen, hatte ich mich für meine kleine 1,5 Liter-Trinkblase entschieden. Schließlich sollten wir ja im Schnitt alle 20 km auffüllen können.

An Kleidung hätte ich gern darauf verzichten können, aber das aprillige Wetter sagte für die Nacht frostige Temperaturen und auch Regen voraus. Also musste sowohl die Daunen- als auch die Regenjacke mit. Sogar Handschuhe. Sicher ist sicher! Und natürlich: das Glücks-Mammut!

Mammutmarsch 2016 Nonfood

Mammutmarsch 2016 Essenspakete

Der final gepackte Rucksack wog nur 4,5 Kilo. Super! Mein Verpflegung, die zu den einzelnen Versorgungsstationen durch dazugebuchten Gepäckservice vom Veranstalter transportiert werden würde, wog da deutlich mehr.

Gute zwei Stunden vorm Start meiner Gruppe 4 kam ich in Erkner an. Da wuselte es schon von bunt gekleideten Rucksackträgern. Ein paar meiner Team-Wanderer fand ich schon vor dem Eingang, der Rest im Stadion vor der T-Shirt-Ausgabe sitzend.

Mammutmarsch 2016 Carola Keßler

Mammutmarsch 2016 Start Panoram

Mein erster Weg ging zur Gepäckstation, um drei Beutel abzuholen, in die ich meine Verpflegung verpacken wollte. Da war ich zum ersten Mal ein wenig verwirrt, denn der zweite Verpflegungspunkt war mit 42 km statt 44 angegeben. Nun gut. Passt ja noch. Ich hatte zu Hause schon alles vorsortiert und so ging das Einpacken in die farbcodierten Beutel fix. Das Anstehen für die Beutel selbst hatte nur etwa 5 Minuten gedauert. Nächste Station waren die T-Shirts. Da musste ich gar nicht anstehen und bekam mein Damenshirt herüber gereicht, dass ich jetzt wohl die nächsten 100 km mit mir mitschleppen würde.

Mammutmarsch 2016 Verpflegungsbeutel

Den Rest der Zeit zum Start um 16:30 verbrachte ich damit, mir die ersten drei Startgruppen anzusehen, meine Anhänger als Erkennungszeichen unseres Teams an die Männer bzw. Frauen zu bringen (mit Aufrufen der Namen wie in der ersten Schulklasse) schwatzen und selbstverständlich: am Klo anstehen. Warum soll es bei Wanderveranstaltungen anders sein als bei Läufen.

 

Eine viertel Stunde vor dem  Start unserer Gruppe versammelten wir uns noch schnell zu einem Gruppenfoto. Über 60 Köpfe zählte unser Team. Leider waren einige zur Fotoaufnahme auch noch am Schlangestehen.

Mammutmarsch 2016 Team EarnYourBacon

In der Startbox angekommen wurde Punkt 16:29 Uhr der Countdown herunter gezählt und es ging los. 100 km lagen vor uns. Durch unsere sieben Trainingswanderungen hatte ich inzwischen eine ziemlich gute Vorstellung davon, was das bedeutete. Schmerzen, Leiden, Dickkopf haben. Aber natürlich auch viel, viel Spaß!

Auf zum Müggelsee – 16 km bis zum ersten Versorgungspunkt

Das Wetter war zum Glück viel sonniger als vorausgesagt. Warm fand ich es dennoch nicht. Aber im Pulk blieb ich zumindest am Anfang gut geschützt und wurde gewärmt. Unser Team verlor sich schon gleich auf den ersten hundert Metern im Gewühl. Ich hatte mich mit Diana, Franziska und Karsten als unserem Hahn im Korb zusammen getan und wir verfolgten ein Schnitttempo von 5,5 km/h. Damit war genug Puffer für ausreichend Pausen drin.

Der erste Streckenabschnitt führte um den Müggelsee herum. Aber von Erkner mussten wir erstmal ein paar Kilometer dorthin laufen. Durch kleine Siedlungen, über Brücken und durch malerischen Wald. Ein wenig störte der Asphaltweg, da er sich unter den Füßen im Vergleich zum Waldboden hart anfühlte. Außerdem klingelten ständig Radfahrer und hupten auch mal Autofahrer, die vorbei wollten. Zwei Ultraläufer überholten uns sogar.

Nach etwa 6 Kilometern erreichten wir das Ufer des Müggelsees. Ganz am anderen Ende, also gegenüber, konnten wir unser erstes Etappenziel sehen: das Strandbad Müggelsee. 16 km sahen verdammt weit aus!

Vor mir sah ich dann etwas, dass ich nicht ganz glauben konnte: da wanderte jemand nur mit einer kleinen Plastiktüte in der Hand. Ich fragte mich schon, wie der die 100 km mit dem Inhalt der Tüte auskommen wollte. Interessiert hätte mich sowieso, was da drin war. Und ergonomische Rucksäcke werden ja anscheinend auch überbewertet. Das nächste Mal staunte ich, als wir am Rübezahl vorbeikamen und die ersten bereits eine Pause machten (nach 8 km) und sich ein Bier reinzogen. Muss ja jeder wissen. Vielleicht wollten die auch nicht die ganze Distanz gehen.

Wir waren auch so guter Dinge und setzten unseren Marsch pausenlos fort. Der Weg führte teils an der Straße entlang, meist aber am Seeufer vorbei. Dann entdeckte ich den gruseligen Eingang des Tunnels zum S-Bhf Friedrichshagen, den ich in meinem Bericht zur Nachtwanderung als Vorhof zur Hölle bezeichnet hatte. Am Tag sah er gar nicht mehr so gruselig aus. War auch gut so, denn hier mussten wir durch.

Vielleicht war es das ganze Seewasser, bei dessen Anblick ich das Gefühl bekam, sehr nötig ein Örtchen aufsuchen zu müssen. Kurz vorm Strandbad Müggelsee kam dann eine Toilette in Sicht. Gott sei Dank, ich war kurz vorm Platzen. Anscheinend war die Toilette aber noch nicht auf Betrieb eingestellt, denn es gab weder Toilettenpapier noch Seife. Was solls. Wieder ein Pladoyer auf mein feuchtes Toilettenpapier to go!

Etwa einen Kilometer später kam dann das Strandbad in Sicht. Nach 16 km war ich ehrlich gesagt ziemlich froh über eine Pause. Meine Kniekehlen machten mal wieder nicht so mit, wie sie sollten. Weh tun, nicht weh tun. Was darf es denn sein?

Am Strandbad fanden wir einen Teil unseres Teams am Boden sitzend vor. Allzuviel Vorsprung hatten sie aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht gehabt. Ich holte mir an der Ausgabe ein Milchbrötchen, eine Banane und Salzstangen. Auf Müsliriegel verzichtete ich, davon hatte ich selbst genug dabei. Statt mich zu setzen, genoss ich lieber den Ausblick auf den Müggelsee.

Der Wind wehte hier leider sehr heftig, so dass uns ohne Bewegung schnell richtig kalt wurde. Franziska und Diana füllten ihre Wasserblasen noch schnell auf und wir machten uns wieder vom Acker. In meiner Blase war noch etwa 1 Liter, daher verzichtete ich aufs Auffüllen und hoffte, dass das kein Fehler war. Ein kurzer Blick zurück. Die nächste Station sollte bei Km 42 sein. Oder 44. Je nachdem, ob man sich aufs Heftchen verließ, das wir vor dem Start bekommen hatten und das die gesamte Streckenbeschreibung enthielt, oder auf den Aufkleber der Transportbeutel. Mal sehen.

Mammutmarsch 2016 Strandbad Müggelsee3

Staubig, glaub ich!

Nachdem wir den S-Bhf Rahnsdorf passiert hatten, folgte ein sehr sehr (sehr!) langes Stück an der S-Bahn-Strecke entlang. Das kam uns auch deswegen so endlos vor, weil der Untergrund aus Zuckersand bestand, der durch die vorausgewanderten “Mammuts” ordentlich aufgewirbelt wurde. Vor uns zogen zwei Mitwanderer auf einmal ihre Schuhe aus. Aber auch nur die! Die Socken ließen sie an und liefen darauf weiter im Zuckersand. Na viel Spaß beim Wiederanziehen der Schuhe. Gibt ein gutes Peeling!

Mammutmarsch 2016 Auf Socken

Mammutmarsch 2016 Caro u Diana

Die S-Bahn donnerte ein paarmal an uns vorbei und nach einer halben Ewigkeit verließen wir die Zuckersandstrecke zugunsten von Zivilisation. Ganz hinten ging langsam die Sonne unter und tauchte den Himmel in lila Licht. Wie war das noch gleich mit den lila Wolken? Franziska konnte inzwischen leider mit unserem Tempo nicht mehr richtig mithalten. Die Hüfte machte ihr stark zu schaffen. So stark, dass sie uns schweren Herzens nach 23 km alleine weiter ziehen ließ, um zu ihrer Unterkunft zurück zu fahren. Bitter, denn sie war extra aus Niedersachsen angereist.

Mammutmarsch 2016 Sonnenuntergang

Move your ass!

Da waren die vier kleinen Wanderer nur noch zu dritt. Wir behielten unsere Geschwindigkeit bei uns steuerten auf die Nacht zu. Meine Daunenjacke hatte ich mir schon am Strandbad Müggelsee übergezogen. Es wurde nun auch richtig kalt. Meine Gliedmaßen merkte ich auch wieder. Außerdem tat mir mein Rücken weh, obwohl ich weit weniger Gewicht im Rucksack trug als bei unseren Testwanderungen. Immer wieder zwang ich mich, gerade wie ein Stock zu laufen. Ich beklagte, dass ich Dödel mir zwar eine 5 Stunden lange Playlist mit Mammutmarsch-Musik (nicht zu verwechseln mit Mammut-Marschmusik) zusammen gestellt hatte, aber dann vergessen hatte, sie zu synchronisieren. Übers mobile Datennetz hatte ich mir aus Verzweifelung das 20 Jahre Best-of von Scooter runtergeladen. Das war das Stichwort für Karsten. Er zückte sein Handy und schon dröhnten Scooter-Schreie durch den nächtlichen Wald. Das gab Motivation! Mag man von Scooter halten, was man will: wenns mal nicht rund läuft, Scooter macht dir Beine!

Die Nacht hatte sich herabgesenkt und wir unsere Stirnlampen herausgeholt. Einen schmalen Pfad ging es entlang, wo wir nur im Gänsemarsch entlang laufen konnten.

Karstens Kumpel Rico (ich hoffe, du wirst so geschrieben) wollte ihm bei 30 km an der Strecke auflauern. Mit Kaffee. Ob ich auch welchen wolle? Da sagte ich nicht nein. Die 30 km sehnten wir hierbei und irgendwann erblickten wir den silbernen Bus, hinter dem sich Rico mit Kaffeebechern versteckt hatte. Glühend heiß war der (der Kaffee!), aber er tat ja so gut. Wir setzten uns an ein Stromhäuschen, aber hier wehte der Wind auch wieder und kühlte uns aus. Ich verschwand also nochmal schnell hinterm Stromhäuschen ins nicht vorhandene Gebüsch und weiter gings.

Mammutmarsch 2016 Kaffee

Meine Hände konnte ich noch ein Weilchen am Kaffeebecher wärmen, aber so heiß wie der gewesen war, so schnell kühlte er herunter. Also hurtig ausgetrunken, damit er noch von innen wärmen konnte. Danach steckte ich meine Hände in meine Jackentaschen und zog vorher nochmal den Reißverschluss höher. Man war das kalt. Ab und an sah ich Wanderer mit T-Shirt und kurzen Hosen. So richtig glauben konnte ich das nicht. War nur ich hier die Frostbeule. Alle Nase lang saßen andere am Straßenrand und pausierten. An einer Stelle stand dann aber auch ein Krankenwagen und behandelte gerade ein Mammut, während seine Kumpels daneben standen.

Am S-Bhf Neuenhagen fanden wir sehr viele Wanderer sitzend und wartend auf die Bahn vor. Für sie war hier nach 35 km die Reise zu Ende.

Mammutmarsch 2016 Neuenhagen

Mein Strecken-Support begleitete uns derweil auf dem Fahrrad und verteilte Schokoriegel. Nach Schokolade war mir gar nicht. Käsekuchen hätte ich jetzt gern gehabt. Oder ein saftiges Steak. Die Chance auf Rostbratwurst hatten wir leider schon lange hinter uns gelassen.

Nachdem wir Neuenhagen verlassen hatten, ging es aufs Feld. Wie staubig es auch hier war, konnte man gut im Schein der Stirnlampe erkennen. Staublunge vorprogrammiert. Wir fragten uns gegenseitig, warum wir eigentlich unbedingt mitten in der Nacht übers Feld latschen müssen anstatt wie ein normaler Bürger einfach süß und seelig im Bett zu liegen. Weil wir einen an der Klatsche haben. Na klar. Der Blick nach hinten lohnte aber die Mühen. Aufgereiht wie eine Perlenschnur leuchteten die Stirnlampen und wankten den Pfad entlang.

Mammutmarsch 2016 Stirnlampen-Karawane

Verpflegungspunkt Bruchmühle, 44 km – Alles ruhig

Unsere Körper verlangten jetzt immer mehr nach einer weiteren Pause. Bei Km 42 stellten wir enttäuscht fest, dass die Angabe auf dem Aufkleberbeutel falsch gewesen war. Weitere zwei Kilometer warteten auf uns. Und die fielen uns inzwischen richtig schwer. Ich freute mich auf mein erstes Versorgungspaket mit Nudelsalat und Mate-Cola. Ganz weit hinten konnten wir dann die Lichter des Sportplatzes von Bruchmühle sehen. Aufatmen! Dort angekommen fanden wir eine richtig gemütliche Atmosphäre vor. Eine Feuerstelle war aufgebaut, um die sich die Wanderer scharrten. Tische und Bänke waren aufgestellt, dazwischen einige Wärmesäulen mit Feuer. Leider war direkt daneben kein Sitzplatz frei, aber ich erhielt ohne Anstehen mein Fressbeutelchen.

Mammutmarsch 2016 Bruchmühle 44 km Feuerstelle

Wir setzten uns auf die Bank, um zu essen und uns auszuruhen. Ein paar Happen vom Nudelsalat aß ich, aber so richtig Hunger hatte ich nicht. Stattdessen musste ich schon wieder aufs Klo. Etwa sechs Dixie-Klos waren aufstellt, an denen ich nun doch warten musste. Ein windete und ich fror. Am ganzen Körper zitterte ich, während ich wartete. Sanitäter kamen mit einer Trage aus dem nebenliegenden Sanitätsraum gefahren. Drinnen sah ich einige ihre Füße hochlegen und versorgen. Am liebsten hätte ich mich dazu gesetzt, um ein bisschen aufzuwärmen.

Nach meinem Toilettengang ging ich aber wieder zu unserem Tisch zurück. Diana würde hier aussteigen. Ihre Urkunde für 43 km hatte sie sich bereits abgeholt. Und sie war eine von sehr vielen. Zum Bahnhof Strausberg waren es aber noch einmal über 6 Km für sie zu laufen. Mehr als eine Stunde also. Ein wenig deprimierend, dass sie trotzdem nur die 43 km auf ihrer Urkunde zu stehen hatte.

Diesmal füllte ich meine Trinkblase auf und wir zogen nach etwa einer halben Stunde wieder los. Die Pause hatte mir gut getan, ich nahm wieder Fahrt auf. Einen Frosch retteten wir von der Strecke, bevor er durch Mammutfüße zu Froschbrei wurde. Immerhin eine gute Tat. Um nicht wieder kalt zu werden, hatte ich auch meine Kapuze aufgezogen. Musste Karsten halt lauter sprechen. Diana schlurfte nur noch hinter uns her. Am Bahnhof Strausberg warteten wir auf sie, um sie noch angemessen zu verabschieden.

Mammutmarsch 2016 50 KM geschafft

Es ging nun einen kleinen Berg an der Straße nach oben. Ein Bus fuhr an uns vorbei, vollgepackt bis oben hin mit Wanderern. Kein Wunder, dass es auf der Strecke inzwischen so übersichtlich geworden war. So sehr, dass wir nun selbst mal navigieren mussten, um sicher zu sein, den richtigen Weg zu gehen.

Um 3 Uhr nachts erreichten wir nach 10 1/2 Stunden inklusive Pausen die Halbzeit. 50 km! Ab jetzt würde es nur noch weniger werden. Für mich ist das immer ein ganz besonderer Moment, ab dem ich mir immer sage: die erste Hälfte ist geschafft. Da geht der Rest auch noch!

Hinter und vor uns war es nun ziemlich ruhig geworden. Auch gesprächstechnisch. Die einzigen, die noch schwatzten, waren wir. Und wir freuten uns schon so sehr auf unsere Frühstücksbeutel bei 59 km. Ein Croissant und eine Quarkschnecke würde mich beglücken. Ich war gespannt, wie warm mein Kaffee in der Thermoskanne noch sein würde.

Abbruch – Das ist ein Scherz, oder?

Während unserer Wanderung twitterte ich immer fröhlich unseren Stand und besondere Vorkommnisse und auch Karsten wurschtelte sich durch die sozialen Medien. Um 4:15 Uhr las er eine Nachricht aus Facebook vor, die ich für einen schlechten Scherz hielt. Der Mammutmarsch sei abgebrochen. Warum und wieso, stand dort erstmal nicht. In Twitter war ich unter dem Hashtag #mammut2016 die Einzige, die noch zwitscherte. Da bekamen wir also nicht raus, was diese ominöse Nachricht bedeuten sollte. Minuten vergingen und es kamen immer mehr Antworten, die das bestätigten. Abbruch wegen zu vieler Verletzter. Man würde wohl am nächsten Versorgungspunkt, den man erreicht, abgefangen werden. Ich wollte das immer noch nicht glauben und hoffte auf ein Missverständnis.

Ein roter Kater lief mir derweil über den Weg. Soviel Zeit zum Streicheln musste noch sein. Wenn der Marsch sowieso abgebrochen war, machte das auch keinen Unterschied mehr, aber einer freute sich zumindest. Rote Kater stehen anscheinend auf mich. Das beruht übrigens auf Gegenseitigkeit.

Mammutmarsch 2016 Kater

Es wurde nun langsam hell, der schlimmste Teil der Wanderung war mit der Nacht vorbei. Auf uns wartete also – hoffentlich – schöne Landschaft im Hellen.

Verpflegungspunkt Rehfelde – Das frühzeitige Ende unserer Reise

Um 4:50 Uhr kamen wir in Rehfelde an. Dort bestätigte sich leider das Gerücht von Facebook. Die Streckenposten erklärten uns, dass es in Bruchmühle, da, wo wir schon lange weg waren, zum Ausnahmezustand gekommen sei. Es gäbe immens viele Leute mit Kreislaufproblemen, so dass alle Sanitäter dort im Einsatz waren, die Polizei und der Katastrophenschutz angerückt seien. Für den Rest der Strecke stünden also keine Rettungskräfte mehr zu Verfügung. Daher wurde der Marsch aus Sicherheitsgründen abgebrochen.

Wenn wir weiterlaufen wollten, dann auf eigenes Risiko und ohne Unterstützung. Der Verpflegungspunkt bei 74 km würde gerade abgebaut werden und ich mein Versorgungspaket nicht mehr erhalten. Wir könnten uns nun hier, bei 59 km eine Urkunde ausdrucken und mit dem Shuttlebus nach Strausberg fahren lassen. Ohne Finisherbändchen.

Ich war am Boden zerstört. Irgendwas zwischen sauer, enttäuscht und traurig. So lange hatte ich trainiert. Und gerade jetzt war ich auch wieder gut drauf und die 100 km realistisch. Ich konnte gar nicht einsehen, warum ich mein drittes Päckchen nicht mehr bekommen sollte, für das ich extra noch den Gepäckservice dazu gebucht hatte. Ohne das und ohne die Möglichkeit, zwischendrin noch einmal Wasser aufzufüllen, waren die 40 km bis zum Ziel (wo auch niemand sein würde) nicht machbar.

Ewig lang überlegten wir noch, was wir machen sollten. Unsere Spitzentruppe saß auch noch vor Ort und beratschlagte. Sie wollten die 100 km gehen. Allerdings in die andere Richtung, wieder zurück. Ganz kurz überlegte ich darüber. Dann siegte aber jemand in mir, der sonst eigentlich nie zu Wort kommt: die Vernunft. Ohne ausreichend Verpflegung und Wasser war das bei der Kälte einfach ein zu unkalkulierbares Risiko.

Sauertöpfisch und schimpfend holte ich mir meine Urkunde und meinen Fressbeutel von dieser Station, aß das zerdrückte Croissant und nippte am lauwarmen Kaffee. Scheiße! Was anderes fiel mir dazu nicht ein.

Ich drehte von ein Video vom Abbruch. Zumindest dachte ich das. Stattdessen hab ich mich einfach nur fotografiert. Aber meine Laune zu dem Zeitpunkt lässt sich gut ablesen. Ein zweites Video drehte ich, nachdem ich mir eine Tüte Milchbrötchen vom Versorgungsstand geholt hatte. Aber auch da hab ich mich wieder nur fotografiert. Weltklasse!

Da mir natürlich auch gerade noch der Shuttlebus vor der Nase weggefahren war, ging ich zum Bahnhof Rehfelde, kaufte ein wahrscheinlich  falsches Anschlussticket und nahm mein Video nochmal auf. Das gibt es, wenn ich den kompletten Clip fertig hab.

Mit vielen Wartenden tauschte ich mich aus. Einige hatten sich gar keine Urkunde geholt, weil sie mit sowas gar nicht erst nach Hause fahren wollten. Sah ja aus, als hätten sie selbst abgebrochen. Im Zug regten wir uns über diejenigen auf, die uns das mutmaßlich eingebrockt hatten: die unvorbereiteten, bläuäugigen Typen, die ohne Plan, richtige Kleidung und am besten noch mit ordentlich Bier intus meinten, sie müssten mal eben den Mammutmarsch laufen. Im gleichen Zuge (durchaus wörtlich zu nehmen) entstand aber der Plan, es beim Ostseeweg im September erneut zu versuchen. Dann war der Mammutmarsch eben ein weiteres Training.

Nach fast zwei Stunden war ich dann auch zu Hause, nur um festzustellen, dass ich keinen Schlüssel dabei hatte. Der war in dem Beutel, den ich mir zum Ziel hatte mitbringen lassen wollen. Zum Glück gibt es Freunde um die Ecke, die mich schnatternd und zitternd aufnahmen bis mein “Schlüsseldienst” kam. Vor Aufregung konnte ich aber zu Hause erst gar nicht schlafen. Erst gegen 12:30 Uhr fielen mir die Augen für zwei Stunden zu. Danach hatte ich etwas, was ich einfach “Mammutmarsch-Jetlag” nennen würde. Mir kam es um 18 Uhr vor, als wäre es erst 10. Da wäre ich eigentlich noch unterwegs gewesen. Um 10.

Und wer ist jetzt schuld?

Natürlich sucht man nach so einer Enttäuschung nach einem Sündenbock. Und da kommen auf den ersten Blick viele in Betracht. Oder doch nicht?

Sind es die Veranstalter, die den Sanitätsdienst nicht richtig geplant haben oder die Herausforderung an die Strecke herunter gespielt haben? War die Steigerung von 900 Teilnehmern vorm Vorjahr auf 2.500 diesjahr zuviel (meiner Meinung nach: ja!)

Sind es die Verrückten, die meinen, sie wären die größten und könnten ohne Sinn und Verstand mal eben 100 km in Flipflops laufen?

Haben die Rettungskräfte, Polizei und Katastrophenschutz vielleicht überreagiert?

Na klar regen sich diejenigen auf, die bereit und fit gewesen wären, die 100 km zu rocken und denen dieser Triumph genommen wurde. Immerhin haben die sich monatelang Gedanken über ihr Highlight gemacht. Sich selbst und ihr Equipment getestet. Alles war perfekt. Und dann kommen da welche und beenden zwangsweise diese Veranstaltung, auf die wir hingefiebert haben. Das verstehen die Leute ohne Plan natürlich nicht. Und nun schlagen sich diese Gruppen in den sozialen Medien die Köpfe ein.

Am Ende hilft es uns nichts, sich darüber aufzuregen. Das Kind ist in den Brunnen gefallen und es gibt noch einige Termine im Jahr, an denen wir uns testen können.

Die Veranstaltung war gut geplant. Es gab wenig Anstehzeiten, der Wellenstart hat gut funktioniert genauso wie der Gepäckservice bis zur dritten Station. Nun muss überlegt werden, was trotzdem anders gemacht werden kann, damit das im nächsten Jahr nicht wieder so passiert. Denn wir wollen alle gerne noch einen Mammutmarsch. Und noch einen. Und noch einen. Ich sage trotzdem danke! Auch wenn mein Blick auf den letzten Bildern was anderes sagt 😉

Kurzinterview mit den Veranstaltern

Die Veranstalter waren so lieb und haben mir, trotz des ganzes Stresses, angekündigt, ein paar Fragen dazu zu beantworten. Welche Antworten sie für euch haben, lest ihr dann hier.

[:]