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[:de]40 km Grunewald – Eine Wandergruppe… is ja doll![:]

[:de]Dass meine erste selbstgeführte Wanderung 2018 noch im März eine klassische Winterwanderung werden würde, hatte ich bei der Planung so nicht geahnt. Anfang Januar hatte ich mit Blick auf den Kalender festgestellt, dass sowohl der Januar als auch der Februar gut mit offiziellen wie inoffiziellen Events gefüllt sind.
Im März ist es eh schöner und wärmer, dachte ich, als ich den 4. März für eine Wanderung mit 40 km ohne konkrete Strecke ankündigte. Januar und Februar waren für deutsche Verhältnisse überraschend warm ausgefallen. Aber das sollte nur eine Täuschung gewesen sein. Während die Vögel schon tirilierend in den Bäumen saßen und die Krokusse bereits ihre weißen und lila Köpfchen aus diversen Wiesen streckten, dachte sich der Winter: jetzt komm ich nochmal richtig!

-12 Grad zeigt das Thermometer, als ich die Route für meine Märzwanderung plane. Wohin nur? Bei den Temperaturen weit raus aus der Stadt ist keine gute Idee und viele fangen die Saison ja auch jetzt erst an, schaffen also noch keine 40 km. Aus einer schon längst geplanten Sommerroute durch den Grunewald stricke ich kurzerhand eine wintertaugliche und lade alle Teilnehmer zum Start am U-Bahnhof Ruhleben ein.

Hilfe, das Handy ist weg

Von mir zu Hause aus sind es gute 50 Minuten bis Ruhleben. Unterwegs treffe ich auf Diana, Christian und Hanna. Wir quatschen munter bis zur Zielstation, steigen aus und finden unten am Eingang eine bunte Traube Wanderwütiger. Fast alle sind da. Alle, bis auf Max. Der sitzt gemütlich im warmen Auto und lässt auf sich warten. „Fragen wir ihn doch mal, wie lange er noch braucht“, denke ich und greife zu meinem Handy. Ins Leere. Da, wo es sein sollte, ist es nicht. Und auch bei allen Alternativaufbewahrungsstellen finde ich es nicht. Hab ich doofe Kuh jetzt echt mein Handy in der Bahn liegen lassen? Ich renne hoch. Zum Glück ist Ruhleben der Endbahnhof der U2. Die Bahn steht noch dort und wartet auf die Wiederabfahrt in die andere Richtung. Ich hechte zum Abteil, wo wir saßen. Kein Handy. Ich frage eine dort sitzende Frau, ob sie ein Telefon gefunden hat. Nein. „Aber da drüben liegt doch was“, sagt sie. Tatsächlich liegt gegenüber von dort, wo ich saß, gut getarnt mein Telefon. Weiß der Fuchs, wie es da hin kam. Egal. Mit unglaublicher Erleichterung husche ich wieder nach unten zu meiner Wandergruppe. Während wir unser typisches Start-Gruppenfoto machen, kommt dann auch Max. Es geht los!

Spieglein, Spieglein

Unser Weg führt uns zur Murellenschlucht. Dort wollte ich schon einige Zeit hin, denn es soll ein wunderschöner Trail sein. Und das stimmt auch. Schon kurz nach Verlassen des Bahnhofes biegen wir rechts in den Wald ab. Sümpfe und Moorlandschaft umgeben den Waldweg. Und alles ist gefroren. Die Sonne strahlt durch die Baumwipfel und lässt das Eis glänzen. Bei einem Blick nach hinten erscheint mir unsere Gruppe auf einmal ums doppelte gewachsen. Ach nee, sind Trailrunner. Die laufen hier wahrscheinlich jeden Sonntag. Nun, heute sind wir hier. Wie eine Horde ultralangsamer Trailrunner bewegen wir uns durch den Wald und blockieren ihre Strecke, so dass sie sich woanders langschlängeln müssen.

Aus der Schlucht heraus geht es ordentlich bergauf und ich höre Geschnaufe hinter mir. Kalt ist sicher niemandem mehr. Wir sind jetzt genau hinter der Waldbühne. Hier stehen überall am Weg – völlig deplatziert – Verkehrsspiegel rum. Es soll wohl ein Kunstprojekt sein, erzählt mir jemand. Ein Mahnmal für den nationalsozialistischen Hintergrund der Murellenschlucht, wie ich später herausfinde. Ich glaube viel eher, dass die Spiegel dazu dienen, bei Konzerten besser Leute zu sehen, die über den Zaun der Waldbühne klettern.

 

Dass wir bei dieser Tour die sechsspurige Heerstraße an einer ampellosen Stelle überqueren müssen, hatte ich so gar nicht auf dem Schirm. Umso größer sind meine Augen als wir an der Stelle ankommen und ich eine Assoziation zu Frogger habe. Das ist ein putziges kleines PC-Spiel aus den 80ern, bei dem man Frösche über eine Straße bringen muss, ohne dass sie überfahren werden. So ungefähr muss das dann aus Autofahrersicht auch aussehen, als 35 bunte Quakfrösche über die startbefahrene Heerstraße hüpfen, aber heil auf der anderen Seite ankommen.

Wir biegen auf Pichelswerder ein, eine kleine Halbinsel, die noch zu Spandau gehört. Direkt am südlichen Ufer sind Schirme und Stände aufgestellt und ein Mann lässt sich zum Fenster raushängen. Ob die hier Glühwein haben?
„Hey, habt ihr Glühwein?“ „Na klar. Roten und weißen!“ Es sind zwar noch keine 7 Km gewandert, aber Glühwein schreit nach Pause. Einige huschen aufs improvisierte Örtchen, viele holen sich Glühwein und Kuchen und wärmen sich kurz an der Feuertonne auf, in der um halb elf morgens schon das Feuer knistert.

 

Im Blindflug durch den Grunewald

Bevor wir wieder aufbrechen, gebe ich meine Rolle als Navigator kurzerhand an Melli ab. Ich sehe nämlich seit ein paar Kilometern so gut wie nüscht mehr. Meine Augen zeigen mir deutlich, dass sie die Investition in ein neues, teureres Paar Kontaktlinsen missbilligen und schmieren irgendwelchen Kram von innen rauf. Ich sehe nur noch Nebel und den Bildschirm meines Handy kann ich schon gar nicht mehr richtig erkennen.

Und so trotte ich dann selbst mitten in der bunten Masse mit, glücklich, dass jemand anderer nun erstmal den Weg weist. Die ungewöhnliche Sanddüne im Grunewald kennen die meisten noch nicht. Ich freue mich immer sehr, meinen Mitwanderern neue Ecken Berlins und Brandenburgs zeigen zu können. Fast alle gehen automatisch direkt auf den Gipfel und dann gleich weiter zu der kleinen Eisfläche am Fuße der Düne. Blind wie ich bin, traue ich mich trotzdem hier rauf, denn der Tümpel ist klein genug, um gut durchgefroren zu sein. Ein bedrohliches Knacken aber lässt fünf von uns aufhorchen, als sie alle zusammen auf einer Stelle stehen. Bloß runter hier.

 

Nach guten 18 km kommen wir an unserer ersten (und einzigen) richtigen Pause an und veranstalten wie so oft einen Flashmob bei McDonalds. Während sich die meisten eine kleine Stärkung holen, verschwinde ich erstmal zur Toilette und putze die hässlichen Linsen. Erst danach erkenne Miri, die dort zu uns stößt und mich zu einem fetten Stück Schokotorte verführt.

Ich see was, was du nicht seest

Kurz nach Wiederaufbruch gelangen wir zur Krummen Lanke und sehen uns einem Meer von Spaziergängern und Ausflüglern gegenüber, die wie die Wilden über die Eisfläche auf der Krummen Lanke flitzen. Ein wenig verführerisch sieht es schon aus. Aber haben die Minusgrade nicht erst vor einer Woche eingesetzt? Wie dick kann die Eisschicht auf ein doch recht großen See schon sein? Nicht sehr, wie uns einige hundert Meter weiter bewusst wird. Auf der Seeseite, an der wir gerade vorbei gehen, ist noch nicht einmal eine dünne Eisschicht, sondern offenes Wasser. Auf dem Schlachtensee sehen wir das vom erhöhten Weg aus nochmal deutlicher. Die Schlittschuhfahrer und Eisbegeher sehen das von der Seite, von der der sie die Eisfläche aus betreten, wahrscheinlich nicht. Sogar ein Zelt steht dort bedrohlich nah an der Grenze zwischen Eis und offenem Wasser. Alles Anwärter für den Darwin-Award, wie jemand später treffend schreibt.

Ich kann zwar nach der Linsenreinigung wieder alles klar sehen, aber etwas anderes trübt nach gut 24 km mein Vergnügen. Mein linker Fuß tut genau an der Stelle weh, die mir schon nach dem Ostseeweg solche Schmerzen bereitet hatte, dass ich hinterher kaum noch auftreten konnte. Sind meine Füße auf einmal nicht mehr kompatibel zu meinen geliebten Hiking-Schuhen? Ich habe die „Schuhzunge“ im Verdacht. Einige schmerzvolle Kilometer weiter (die schon gar nicht mehr hätte gehen sollen), schnürt mir Miri die Zunge vom Gelenk weg, damit sie nicht mehr drückt. Und ich laufe weiter.

Schwan drüber und Schwein gehabt

Ein wenig seelische Linderung bringt der Anblick dutzender Schwäne, die in Ufernähe der Havel übers Eis watscheln und im Wasser gründeln. Ein Mikropäuschen für alle, auch die, die die Schwäne ignorieren. Der Hammer zum Schluss kommt ja noch. Erstmal scheuche ich alle den Karlsberg hoch, der zum Grunewaldturm führt. Am Ufer zu bleiben, wäre auch nicht caro-like gewesen. Dafür spare ich uns aber den Schlenker über Schildhorn, der uns sicher 300 m Fußweg spart.

 

Stattdessen geht es alsbald rechts wieder in den Wald, gefährlich nah an verführerischen BVG-Bussen vorbei. Die Sonne senkt sich langsam über den Baumwipfeln hinter uns herab. Es wird wohl knapp, den Gipfel des Drachenbergs noch pünktlich zum Sonnenuntergang zu erreichen. Viele sehen schon richtig kaputt aus und dazu zähle ich auch mich dank meines Fußes. Neben mir schreit Aivin auf einmal auf. Eine Wildschweinrotte guckt uns von links nur einige Meter entfernt an. Frischlinge sind auch dabei. Etwa sieben Schweine gucken etwa 20 Wanderer an. Und andersherum. Den Schweinen wird’s zuerst zu blöd und sie trollen sich zurück in den Wald.

 

Kurz bevor sich der Weg gabelt – rechts hoch zum Berg, links drumherum – stelle ich jedem den Aufstieg frei. Ausnahmslos alle entscheiden sich für… rechts! Der Aufstieg ist steil und hart. Oben weht ein fieser Wind und ich höre jemanden sagen: „Da hinten ist ja mal Zivilisation zu sehen!“ Ja, diese Tour hat sich nicht nach Stadt angefühlt. In der Dämmerung wuseln wir den Berg hinab. Die Glühweinpause hat uns leider den Sonnenuntergang dort oben gekostet.

 

Nur ganz wenige Meter trennen uns nun noch vom Ziel am S-Bahnhof Heerstraße. Nach neun einviertel Stunden finden wir uns zum Abschlussfoto dieser Winterwanderung bei bestem Wetter zusammen. Es war ein schöner Tag.

Ich hoffe, ich sehe ganz viele von euch ganz bald wieder!

Die Strecke zum Nachwandern

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[:de]Dein Ostseeweg 2017 – Die Geschichte des Schlusslichts[:]

[:de]

erzählt und geschrieben von Ralf M.


Nach dem nun einige Zeit vergangen ist möchte ich auch noch kurz Resümee zum vergangenen 100km Marsch ziehen. Mein mittlerweile 9ter Marsch und der vierte in diesem Jahr. Dass es sich aber zu einem der für mich schönsten und emotionalsten Märsche entwickelte hatte, hätte ich im Vorfeld nicht erwartet. 

 

Die Geschichte des Schlusslichts

 

Eigentlich wollte ich den Marsch ja absagen. Körperliche und berufliche Grunde hatten mir eigentlich gesagt, mach dir ein ruhiges WE und leg mal die Füße hoch. Aber wen würde ich damit so kurzfristig alles enttäuschen?? Zimmer waren gebucht (in dem ich im Übrigen in zwei Nächten nicht ein einziges Mal im Bett lag) und Fahrstrecken abgesprochen. Von daher was soll‘s dacht ich mir: „ein Mann – ein Wort“ und rein ins Auto und ab nach Bad Doberan…

 


Die ersten 20-30 Kilometer verliefen wie immer. Viel Gequatsche, viel Gedrängel und man kommt mit dem ein oder andern ins Gespräch. Somit auch mit Robert aus Münster, einem ehemaligen Magdeburger (aber dazu später). Nachdem sich in den ersten 30 km die Gruppen gefunden oder durch Zufall zusammen gewürfelt hatten stand ich plötzlich mit Lea „alleine“ und „verlassen“ vom Rest des 30ig köpfigen „EarnYourBacon“ Teams auf weiter Flur. Kleinere Reste des Teams sahen wir vereinzelt höchstens bei den folgendenVerpflegungsstationen als sie meist schon im Begriff waren zu gehen. Der Rest war uns schon weit voraus.


 


Aber was soll’s, der Teamgedanke war geboren und reifte Stück für Stück und Kilometer für Kilometer weiter an. Ich legte dieses Mal eh keinen Wert auf Zeit oder sonstigeErrungenschaften. Eigentlich wollte ich es nur ganz in Ruhehinter mich bringen. Auch ein Abbruch wäre für mich mal egal gewesen. Kann man ja auch mal machen. Das Gefühl kannte ich ja eh noch nicht. Daher war es für mich irgendwann auch leicht mit Lea den Abbruch bei km 67 (nächster Verpflegungspunkt) zu beschließen. Sie hatte sich nämlich auf den ersten 25 km durch die falsche Schuhwahl eine Blase zugezogen und die Wechselschuhe die Ihr Freund dann brachte machten es zwar Besser aber die Titanic hatte eben ein Leck bekommen und musste zwangsläufig irgendwann unter gehen. Ab km 50 war es dann auch so weit. Wir begannen langsam, aber sicher zu sinken. Die Schmerzen bei Lea waren so groß, dass wir nur noch 3,5 km die Stunde schafften. Da half auch die beste Motivation nichts, wenn man erst bei der Hälfte der Strecke ist. Somit war ihr klar, dass sie den Marsch abbrechen müsste und ich fügte mich dem Schicksal unserer kleinen entstandenen Gruppe und beschloss für mich auch abzubrechen weil einfach nicht die richtige Lust da war um weiter zu machen. Aber Lea hatte biss und wollte sich wenigstens bis km 67 zum nächsten Verpflegungspunkt durch schlagen, um ihren bisherigen Rekord von 65 km um 2 km überbieten. So hätte sie wenigstens noch ein kleines Erfolgserlebnis gehabt. 

 

Die Nacht verging Stunde um Stunde, aber nicht die zurückgelegten Kilometer. Wir schlichen mehr durch den Wald und die Dörfer als wir liefen und wurden ständig von anderen Wanderern überholt. Mit Lampe auf dem Kopf, Musik in den Ohren ging es ohne viele Worte langsam durch die Nacht. Ab und an eine Aufmunterung, die den Schmerz für 10 Meter abklingen lies um nur kurz darauf umso stärker wieder zurück zu kommen. Es war eine deprimierende Zeit, weil wir wussten was auf uns zukam. Aber wenigstens gingdann endlich so langsam die Sonne auf. Gab neuen Mut, neue Kraft und neue Zuversicht. Und plötzlich traf uns ein Geistesblitz. Warum wir natürlich nicht schon früher drauf gekommen sind fragt bitte nicht, aber eine Kurve weiter auf freier Wildbahn (ok war Fahrradweg) saßen zwei Mädels die sich Ihre Füße neu abgeklebten und wir beschlossen uns das Dilemma bei Lea endlich einmal an zuschauen. Ein schöne prall gefüllte Blase im Durchmesser von 3 bis 4 cm zierte den Fuß oder besser den Hacken von Lea die Ihr die unsäglichen Schmerzen verursachte. Leider hatten die Mädels keine Nadel mehr und hatten auch nur Ihre Fingernägel benutzt, aber wir dachten uns der Nächste der bei uns vorbei kommt wird angeschnorrt. Und wirklich eine nette Dame (Sophia) gab uns Ihr Taschenmesser…

 

Alle Sanis bitte, die nächsten Sätze überlesen. 

 

Ruck zuck war die Schere aus dem Messer geklappt. Lea konnte es nicht, also hab ich kurz angesetzt und zwei Stiche später war das komplette Tempotaschentuch nass. Die Blase war erstmal Geschichte. Sie drücke das restliche Wasser aus den zwei offenen Hautschlitzen und sah plötzlich wieder schmerzbefreiter und glücklicher aus als noch vor 5 Minuten. 

 

Die 67 rückten also wieder in greifbare Nähe. Und es lief wirklich wieder besser. Beflügelnd war es auch das wir just in dem Moment von unseren drei letzten Damen uns unserer Gruppe eingeholt wurden und wir so das Abenteuer zu fünftweiter bestreiten konnten. Unsere Zeiten verbesserten sich tatsächlich wieder auf 11:30 je Kilometer. Tempo wie fast am Anfang. Wahnsinn.. Und die ersten Phantasien an die 74 wurden geboren und ich goss das zarte Pflänzchen „Ehrgeiz“Stück für Stück mit Motivation.  So erreichten wir erstmal die 67 mit fast schon guter Laune. Auch wenn wir das Tempo unserer drei dazugewonnenen Mitstreiter nicht ganz mehr halten konnten. 

 

Jetzt war erstmal Pause angesagt und die Freude über das Erreichen des Etappenzieles groß. Es wurde gefrühstückt und was Warmes getrunken. Gespräche mit anderen geführt,warum man sich zum Beispiel ein „L“ und ein “R“ auf den Fußrücken in einer thailändischen Opiumhöhle tätowieren lassen muss oder warum andere den guten Kaffee einfach umkippen müssen. Mit fortschreitender Zeit und sinnlosen aber coolen Gesprächen stieg nicht nur die Sonne immer höher am Himmel empor sondern auch unsere Zuversicht das nächste Etappenziel doch erreichen zu können. Kilometer 74…das wäre ein Traum den zu erreichen. Immerhin wären es dann schon fast 10 km mehr als Lea‘s bisheriger Rekord und somit eine zusätzliche Motivation es an zu gehen. 

 

Also weiter, immer weiter im fünfer Gespann entlang der Küste. Aber wir konnten das Tempo nach einigen Kilometern nicht mehr standhalten. Die Füße brannten einfach zu stark um wirklich noch Tempo auf die Streck zu bekommen. Erst 12:30 dann 13:00 Minuten pro Kilometer waren jetzt so die Regel und so schön die Sonne am Morgen auch sein kann umsoerdrückender ist Sie, wenn man an der vollen Strandpromenade von Kühlungsborn lang marschieren muss. Viele Menschen fragten sich was den das für Ausgestoßene sind. Menschen mit zerzausten Haaren, dreckig mit verkrampften Gesichtern und Rucksäcken passte irgendwie nicht ins Weltbild vieler Menschen zu einem so schönen und unbekümmerten Sonntagvormittag. Wir blickten in viele fragende aber doch immer freundliche Gesichter. Oder war es Mitleid? Wer weiß das schon und wen kümmert es nach über 70km. Und wenn von hier und da ein motivierender Zurufkam, wussten wir, DER weiß was wir hier machen und bedankten uns mit einem gequälten aber ehrlichem lächeln. Lea fing langsam wieder an stärker kämpfen zu müssen. Müdigkeit, Erschöpfung und die brennenden Füße forderten ihren Tribut und sie wollte nur noch zum Sani um sich irgendein Pflaster kleben zu lassen. Aber zwischen Konzertgarten Ost und Konzertgarten West liegen so viele verdammte Meter die sich wie Kaugummi am Schuh einfach nur ziehen und nicht enden wollen.   



Unsere drei schnelleren Damen erwischten wir bei der Ankunft am Verpflegungspunkt nur noch beim losgehen. Wir wünschten Ihnen viel Glück und drückten die Daumen, dass sie ihr Ziel die 24 Stunden noch erreichen würden, und machten uns (besser ich) erstmal über die Getränke her und ich versuchte die Jungs, die Papa zum freiwilligen Helfen mit eingespannt hat, für eines der nächsten Event zu begeistern 😉 Währenddessen stellte sich Lea den Sanis einmal persönlich vor und fluchte als Ihr Platz in der Schlange weg war, als sie nur mal „schnell“ auf Toilette geflitzt ist. Aber so ist das eben aber sie kam dann trotzdem noch dran. Der Sani fand es ganz lustig, dass sie sich alles mit Leukoplast abgeklebt hat. Ein Abreißen der alten Pflaster war somit nicht möglich ohne die Haupt der Blase mit runter zu ziehen. Also nur ein Druckpflaster rauf und das muss reichen für die folgenden härtesten 26 Kilometer ihres Lebens…

 

Kurz bevor wir den letzten Abschnitt in Angriff nahmen kam unser guter Jens um die Ecke. Er war also auch noch im Rennen. Warum auch nicht. Einer der bei anderen Veranstaltungen bei km 44 Ohnmächtig wird und dann trotzdem die 100 noch zu Ende läuft, schafft auch diesen Marsch hier. Da machte ich mir keine Sorgen. Aber er hatte wegen seinem Team auch auf Zeiten verzichtet und war jetzt nur noch alleine unterwegs und versuchte noch das Beste aus der Zeit raus zu holen was ging. Wir sind schon ein verrückter harter Haufen dachte ich mir so in dem Moment. Also durfteer schnell was trinken und dann hab ich ihn gleich wieder mit uns mitgenommen. Pausen werden ja eh überbewertet. 😀 Somit waren wir zu dritt und quälten uns gemeinsam über dasletzte Viertel des Weges. Entlang der vollen Straßen in Kühlungsborn, den Weg hinauf zum Leuchtturm in praller Sonne und dann langsam durch, die Gott sein Dank,entschärfte Kühlung. Der Wald spendete endlich Schatten aber der Himmel zog sich nun langsam zu. Lea wurde immer langsamer und weitere Tränen verschmierten irgendwelche Farben um Ihre Augen. Während ich immer wieder auf Lea wartete bis sie zu mir aufgeschlossen hat, Ihr Mut zu sprach und ihr den Rücken stärkte entfernte sich Jens langsam Meter um Meter weiter von uns. Er musste einfach sein Stil laufen um anzukommen und er konnte nicht langsamer werden was auch völlig verständlich war. Dennoch erwischten wir ihn hin und wieder als er Pause machte oder mit anderen am Straßenrand quatschte. Dies war dann auch der Moment, wo wir, zu dem Zeitpunkt noch in unbekannter Weise, auf Robert und Sophie stießen, die sich mit Jens unterhielten. Sophie völlig deprimierend auf der Straße saß und kein Spaß mehr verstand während die beiden Jungs sie versuchten aufzumuntern kamen meine blöden Witze nicht mehr so richtig an. 😀 

 

So waren wir wieder zu dritt. Lea, Jens und ich. Aber so langsam machte sich mein schlechtes Gewissen bemerkbar. Nahm bei jedem zurückblicken nach Lea immer mehr zu. So war ich im Inneren Zwiespalt mit mir selbst. Geplagt von der Mission sie zu motivieren den ersten 100ter Ihres Lebens zu finishen und dem gegenüber was ich ihr hier grad antue. Sie im wahrsten Sinne des Wortes kaputt zu spielen. Wenn ich oft in ihr schmerzverzerrtes Gesicht blickte und ab und an die Tränen sah hätte ich am liebsten den Sanis Bescheid gegeben die Sache abzubrechen. Aber ich weiß auch, dass die Erlösung nur eine kurze Zeit anhält bis dann für lange lange Zeit die Enttäuschung einsetzt an dem Punkt abgebrochen zu haben. Denn bei einem nächsten Versuch muss man ja auch erstmal die ganzen Strapazen auf sich nehmen, um genau zu diesem Punkt wieder zu kommen. Und besser wird es dann auch nicht. Nein, das sollte nicht passieren. Das was mich persönlich nur noch motivierte den Marsch zu machen durfte nicht so einfach Enden. Der Schmerz vergeht irgendwann und nur der Stolz bleibt und dieses Gefühl sollte auch sie erleben dürfen. Also schluckte ich meine Zweifel runter und betete, dass alles gut werden würde. Also weiter… Meine App meldete jeden zurück gelegten Kilometer und jedes Mal war es ein kurzer Moment des Triumphes wieder einen dieser unendlich langen Kilometer, oder waren es mittlerweile schon Meilen, geschafft zu haben. Die nächsten 100 Meter ging es dann immer mit leichterem Schritt voran bis die Schmerzen dieses kleine Glücksgefühl wieder verrinnen ließen und die App nach 16 Minuten den nächsten geschafften Kilometer meldete. Dennoch musste ich mir was überlegen. Irgendwann kam mir die blöde Idee, Lea zusammen mit Jens wenigstens ein Stück zu tragen. Dazu benötigte man nur einen stabilen Stock, der dann auch irgendwann gefunden wurde und promptprobierten wir es einfach aus. Jens links ich rechts und Lea durfte sich setzten und sich an unseren Schultern festhalten und somit wenigstens mal 50 Meter Ihre Füße ausruhen während wir immer weiter gingen. Und es hat ihr gut getan. Körperlich wie auch vor allem Mental. Zumindest war es mal eine Abwechslung zu dem stupiden starren Blicken nach unten. Und plötzlich während wir am tragen sind hüpfte Robert von hintern mit seine GOPro vorbei und filmte unsere Aktion Lea ein Stück zu transportieren. PS. Ich bin auf das Video gespannt. Aber es war nur ein einmaliger Versuch. Jens musste sein Tempo laufen und somit waren wir bis Kilometer 91 wieder alleine. Dicht gefolgt von Robert und Sophie die Stück für Stück aufholten und den netten Sani auf dem Motorrad der mittlerweile schon irgendwie zu unserem Team zu gehören schien. 

Am Verpflegungspunkt trafen wir dann wieder mir Robert und Sophie zusammen. Hier kamen wir auch das erste Mal richtig ins Gespräch nach dem wir von Team der Verpflegungsstation freudig empfangen wurden. Und verflixt noch eins, Zufall gibt es da wird der Hund in der Pfanne verrückt. Robert war der mit dem wir uns schon auf den ersten 10 km unterhalten hatten und Sophie war die nette Dame, die uns bei Kilometer55 Ihre Schere gegeben hat um die Blase aufzustechen zu können. Somit war gleich klar, dass wir die letzten 9 Kilometer versuchen würden zusammen durch zu ziehen, denn das konnte nun wirklich nicht mit rechten Dingen zu gehen und war ein gutes Omen für den Rest des Marsches. Und noch waren wir nicht letzter. Ein Mitstreiter war noch hinter uns auf dem Weg zur Verpflegungsstation bei Kilometer 91 obwohl sich Lea jetzt wünschte den letzten Platz belegen zu dürfen. 



Also kurz einige der letzten verbliebenen Schmalzstullen verputzt bevor es die Tiere im Zoo bekommen und noch die Grapefruit Limo ausgetrunken und ein Gruppenfoto gemacht. Der erste Kilometer lief auch noch recht gut. Aber Lea konnte dann einfach kaum noch. Schmerzen bei jedem Tritt. Meine App meldet mittlerweile 18+ Minuten pro Kilometer und so mussten wir Sophie ziehen lassen. Nur Robert sahen wir noch ab und an. Die Sanis waren nun unsere steten Begleiter. Fast nach jeden zweiten oder dritten Kilometer warteten Sie samtRTW und Krad auf uns und wollten wohl den letzten Umsatz an dem Tage noch irgendwie schaffen. Aber nichts da. Wir hatten eh alle unsere Krankenkarte nicht dabei 😉 Und Lea verneint trotz dem enormen Wunsch es endlich zu beenden jede Frage mit einem freundlichen „nein – ich gehe weiter“.Was mich sehr stolz auf Ihre Leistung und Ihre Einstellung machte. Immer wenn ich wieder ein paar Meter vor Ihr war und mich umdrehte um auf sie zu warten sah ich dieses körperlich gebrochene zarte Wesen. Etwas Schlagseite nach rechts hatte sie schon seit längerem. Zum Glück gaben Ihr die Stöcker halt sonst wäre sie mir bestimmt in den Graben gefallen. Die Beine und Arme wackelten bei jedem Schritt wieWackelpudding aus Omas Kühlschrank und oft floss eineTräne über die Wange und Ihr Gesicht war schmerzverzerrt wenn wieder ein Steinchen blöde da lag. Seufzer und Tränen waren die restlichen Kilometer immer mit von der Partie. Aber ich konnte ihr dennoch immer und immer wieder ein kleines Lächeln entlocken und ihr die Vision von ihrem ersten geschafften 100ter weiter und weiter in den Kopf meißeln.

 

Zum Glück erreichte uns Ihr Freund bei Kilometer 95 um moralische Unterstützung zu geben. Und Gott sei Dank, weil mir sind so langsam sämtliche Argumente ausgegangen und mein schlechtes Gewissen brachte meine Motivationsversuche nicht mehr wirklich ehrlich rüber und quälte mich zudem enorm. Daher war ich über die moralische Unterstützung sehr dankbar und konnte mir mal eine kleine Auszeit nehmen und den Sanis noch mal zeigen, dass man auch nach 95+ Kilometern noch ganz gut joggen kann. Ich hoffe das Video dazu ist was geworden Robert….

 

Auf den letzten Kilometern waren wir dann aber wieder allein. Ich fasste neuen Mut und spornte Lea immer wieder an weiter zu gehen und nicht aufzugeben. Malte ihr Bilder in Kopf wie erleichtert sie gleich sein würde 100 Kilometer geschafft zu haben. Wie sie ihrem Freund gleich in die Arme fallen kann und alle angestauten Emotionen freien Lauf lassen kann. Ich erzählte ihr wie es sich anfühlt wenn man sich 100km durchdie Hölle gekämpft hat und dann das Ziel überschreitet. Der Stolz über seine Leistung der in einem wächst und sich einbrennt wie das Brandmahl auf einem Stier. Das wir zwar alleine jetzt unterwegs waren, aber das das ganze „EarnYourBacon“ Team in Gedanken grad bei ihr ist und sie anfeuert und wir sie in den Club der Hunderter gleich aufnehmen können. Sie biss die Zähne zusammen. Mir tat es auch schon leid ihr immer wieder zu sagen, da müssen wir hin, nur noch zwei Kilometer. Gleich ist der Wald zu Ende. Schau mal da rechts die Häuser. Das ist Bad Doberan. Wir sind da. Nur noch paar Meter durch die Straßen. Jetzt nur noch bis zu der Ecke und die nächste Querstraße dann ist die Sporthalle da.

 

Allein der enorm erleichternde Blick, die Freude in Ihrem Gesicht und der Stolz der in ihr hoch kam als wir zusammen das Ziel überschritten war es wert den Marsch bis zum Ende durch zu ziehen. Sie war die Nummer 201. Der letzte Finisherdes Ostseeweges 2017. Es war Ihr erster 100ter und Ihr dritter Anlauf. Dafür gebührt Ihr mein ganzer Respekt es trotz aller Umstände durchgezogen zu haben. Ohne die überwältigenden Leistungen aller anderen Fininsher in den Schatten zu stellen,finde ich hast du Lea an diesem Tage die Urkunde am Meisten von allen VERDIENT. Soviel Kämpferherz, Ehrgeiz und Entschlossenheit bringt nicht jeder auf. Ich hoffe die Erfahrung wird dich ein Leben lang begleiten (sag nur Enkelkinder und Kaminfeuer 😉 )

Daher ziehe ich den Hut vor dir und heiße dich hiermit noch einmal herzlich Willkommen im Club der HUNDERTER…


 

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[:de]Eine kurze Geschichte des Mammutmarschs 2017[:]

[:de]

 

erzählt von Martin R.


 

Langsam wird es wieder hell. Zu dem dumpfen Pochen meiner Füße und den brennenden Fußsohlen gesellt sich sukzessive ein leichtes Stechen im linken Knie. Das ist mein mit mir selbst vereinbartes Signal, dass ich an der Grenze dessen angekommen bin, was ich meinem Körper zumuten will. Noch eine knappe Stunde bis zum Streckenposten bei KM 59. Ich schaue nach oben in den dämmrigen Himmel, dann zu Lukas und Daria, die sich neben mir wortlos Schritt für Schritt weiter kämpfen. Wie zum Geier bin ich hier gelandet…

Januar 2017. Ich sitze in der Uni, als mein Freund Lukas anruft. “Martin, läufst du mit mir den Mammutmarsch?” – “Bist du völlig bescheuert?” – “Ja, aber du ja auch, und mit normalen Leuten kann man sowas nicht machen” – dieser Argumentation habe ich nichts entgegen zu setzen. Er meldet uns beide an. Ich fange an mich einzulesen, schreibe viel mit einem Bekannten aus den USA, einem Marine außer Dienst, der natürlich beruflich viel gewandert ist und nun an GoRuck-Events teilnimmt. Es sind noch 5 ½ Monate bis zum Marsch, also wird ein Trainingsprogramm ausgearbeitet, mit steigenden Strecken und Gewicht. Das Ziel ist es, einmal mit 15kg 70km zu laufen. Dann sollte der Marsch mit weniger Gewicht, dafür 30km mehr, eigentlich gehen.

Letztendlich läuft es dann doch ganz anders. Am Morgen des 27.5. stehe ich in der Küche, schmiere Brote und lasse die Vorbereitung Revue passieren. Wir waren in den letzten 5 Wochen 3-mal draußen, haben 40, 45 und 50 km gemacht. Ich hatte Probleme mit meinen Schuhen – die zu diesem Anlass angeschafften Meindl Wanderstiefel haben mir mit zerbröselnden Einlegesohlen Blasen beschert, mit neuen Einlegesohlen ergab sich eine Druckstelle oben an der Ferse. Ich wollte noch Wanderstöcke besorgen, aber die sind so teuer und ich konnte keine mehr ausleihen. All das spielt jetzt keine Rolle mehr. Ich packe meinen Rucksack zu Ende, verabschiede mich von Meiner Freundin und setze mich in den Bus zum Ostkreuz.

16:30 Uhr

Wir stehen am Start. Um mich herum sehe ich wirklich alles vom durchtrainierten Läufer, komplett in Funktionskleidung und mit GPS-Uhr am Arm, über den Bundeswehr-Soldaten in voller Montur (wie er es in den langen, dicken Klamotten überhaupt aushält ist mir schleierhaft) bis hin zu einer Gruppe Teenager in Sneakers – ein Mädchen in Flipflops hat an ihren Eastpak-Rucksack außen eine Flasche Apfelschorle gebunden. Lukas und ich sind irgendwo dazwischen. Der Countdown ertönt, wir laufen los. Wir entscheiden uns, uns an die Spitze des Pulks zu setzen. Dort kommen wir ins Gespräch mit Christian, Nadine, Antje und Steffen, die uns  adoptieren – auch Daria gabeln wir noch auf. Die vier sind Wiederholungstäter, wir drei adoptierten sind zum ersten Mal dabei.

Der Weg zum ersten Streckenposten verläuft ereignislos – es ist sehr warm, ich schwitze trotz luftiger Sporthose und dünnem Funktionsshirt. Wir zuckeln gemütlich mit 6km/h um den Müggelsee. Am Posten geht es ganz schnell. Zwei Milchbrötchen, ein Cranberry-Riegel, Wasserblase komplett füllen für die 28km bis zum nächsten Posten. Antje ergänzt ihre komplizierte Fuß-Tape-Konstruktion um zwei weitere Streifen und dann geht es direkt weiter. Kurz danach folgt die erste anstrengende Stelle – der Weg geht fast 6km geradeaus, an Bahnschienen entlang, der Boden ist entweder uneben und steinig oder lockerer Sand. Staub von den Füßen der hunderten Wanderer vor uns liegt in der Luft. Aber auch das geht vorbei.

Am S-Bhf Friedrichshagen werden unsere Begleiter von ihrem Support-Team begrüßt. Es gibt lange Kleidung und Elektrolyte, heißen Guarana-Tee und Haribo. Die Laune ist gut. Die Schuhe bleiben an, wir verbringen den Großteil der 8min “Pause” mit Dehnen, das hilft. Der nächste Teil der Wanderung ist der schönste. Wir haben noch nicht mal 30km runter, es geht durch den Wald, über Wiesen und sogar eine kleine Holzbrücke über einem Bach. Daria legt einen ordentlichen Schritt vor, Lukas und ich ziehen mit. Die Veteranen machen etwas langsamer, bleiben hinter uns zurück – mit Blick auf die von Unterstützern vorbeigebrachte Suppe bei 35km beschließen wir bei 30km kurz zu warten, bis sie wieder aufschließen.

23 Uhr

Wir sind am S-Bhf Neuenhagen. Helge empfängt uns mit heißer Hühnersuppe. Hier machen wir unsere erste echte Pause. 20min sitzen, Schuhe aus, Füße lüften, etwas Dehnen. Die Suppe ist unglaublich lecker – nach 35km und 6.5h wandern genau das richtige. Die Temperaturen sind aber immer noch okay für luftige Sporthose und dünnes Shirt. Es geht gegen 2330 weiter. Langsam wird es etwas anstrengend. Die Fußsohlen brennen und fühlen sich sehr warm an, auch die ersten Druckstellen machen sich inzwischen bemerkbar. Der Weg führt bald auf ein Feld, der Sternenhimmel ist unglaublich, aber so richtig genießen kann ich das nicht mehr. Meine Füße schmerzen jetzt schon auf einem Niveau, was ich aus den Trainingswanderungen nicht kenne. Nach einigen Minuten des Gehens mit gesenktem Kopf merke ich, dass die Monotonie des vorbeiziehenden, im Licht der Stirnlampe feucht glitzernden Grases Sehstörungen verursacht, der Weg scheint zu verschwimmen. Ich fange ein Gespräch an, um mich abzulenken – worum es ging, weiß ich nicht mehr.

1 Uhr

Wir sind am Streckenposten bei 44km. Ich ziehe eine lange Hose an, friere plötzlich. Wasser auffüllen, mich zwingen etwas zu essen. Hunger habe ich keinen mehr, nur ein flaues Gefühl im Magen. Einige Leute holen sich hier ihre Urkunden, der Bus fährt halb voll zum Bahnhof Strausberg. Die Nacht fordert ihre ersten Opfer. Ich verabschiede mich innerlich von den 100km, hoffe aber die 74 noch zu schaffen. Für uns geht es weiter. Bis zum Bahnhof Strausberg zieht uns die Musik aus dem tragbaren Lautsprecher unserer Adoptivgruppe – dort treffen diese aber auf ihr Support-Team. Wir gehen weiter. Etwas später beginnt der Himmel langsam heller zu werden. Die letzten 5 Kilometer bis zum 59er ziehen sich gefühlt endlos hin.

4:20 Uhr

Wir biegen auf einen Parkplatz ein, überqueren diesen und gehen durch das Vereinshaus des SV Grün-Weiß Rehfelde. Ich setze mich auf die Treppe zum Eingang und weiß in diesem Moment ganz sicher: Für mich ist hier Feierabend. Auf meiner Urkunde landet letztendlich 59km in 11:59. Eine Zeit und Strecke, mit der ich zufrieden sein kann.

 

Was ist falsch gelaufen?

Erstmal sicher das Training. Zu wenig Strecke, zu spät tatsächlich angefangen, vor allem das Gewicht des Rucksacks hat mir beim Marsch zu schaffen gemacht. Sollte ich es noch einmal probieren, werde ich beim nächsten Mal sicher mit mehr Gewicht trainieren.

Die Ausrüstung war suboptimal. Ich war einer von ganz wenigen, die schwere Wanderschuhe getragen haben. Trailrunning- oder normale Sportschuhe scheinen die deutlich bessere Wahl für Brandenburg zu sein. Ich hatte zu viel Zeug dabei, was ich letztendlich nicht brauchte. Statt einer langen und einer kurzen Hose wäre eine zipp-Hose gegangen, das wechsel-funktionsshirt hätte man sich sparen können, das Baumwollhemd war unnötig. 4 Paar Socken sind auch zu viel, aber da nehme ich lieber eines mehr mit als eines zu wenig zu haben.

Ich hatte zu viel Essen dabei. 10 Stullen, 400g Studentenfutter, 1kg Nudelsalat – und davon habe ich zu wenig gegessen. Ich schätze, dass mein Magen recht unzufrieden damit war, nur so selten etwas zu bekommen. Außerdem habe ich bis Mitternacht sehr viel geschwitzt, die Verluste hätte ich sicher durch Elektrolytpulver ausgleichen können, die hatte ich aber nicht eingepackt. Gegen Ende habe ich gefühlt doppelt so viel gepinkelt wie ich getrunken habe.

Alles in allem war es eine tolle Erfahrung, auch wenn ich es nicht bis ins Ziel geschafft habe. Meinen großen Respekt an jeden, der sich dieser Herausforderung gestellt hat, und Ehrfurcht vor denen die am Ziel angekommen sind. Danke an die Organisation und die vielen Helfer, die die Strecke gesichert und uns mit Essen versorgt haben – und natürlich die Sanis, die gute Arbeit geleistet haben. Danke dass ihr alle da wart.[:]

[:de]24. Berliner Polarnacht – die Nacht der 1.000 Stürze[:]

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Merino-Langarmshirt? Check! Dünnes Fleecejäckchen? Check! Softshell-Jacke? Check! Winddichte und wasserabweisende Hose, wasserdichte Trailschuhe? Check! Hauchdünne Regen- und Daunenjacke sowie eine lange Merino-Unterhose im Gepäck mache ich mir noch schnell einen heißen Kaffee mit zuviel Ahornsirup und eine Thermoskanne Früchtetee. Es werden schließlich Minusgrade. Die alten, abgelatschten und an einigen Stellen schon gerissenen Überzieh-Spikes wandern noch in die Seitentasche des Rucksacks und ich verlasse wie immer panikartig, weil zu spät dran, die Wohnung.

Die Berliner Polarnacht war im letzten Jahr meine erste längere Wanderung im Schweinsgalopp gewesen. Nach 30 km war ich fertig. Im wahrsten Sinne des Wortes. Diesjahr will ich aber zumindest die eine Etappe schaffen: 50 km durch die Nacht, von der Friedrichstraße über Umwege bis nach Falkensee. Da meine selbst organisierten Wanderungen teilweise noch deutlich länger waren, bin ich guter Hoffnung, dass das klappt. Bevor es in die Kälte der Nacht geht, finde ich mich mit einigen meiner lieben Mitwanderer noch auf einen Happen im Restaurant Nolle ein. Neben bekannten Gesichtern sitzen mir drei Hamburger gegenüber, die viel Erfahrung und ebensoviel zu erzählen haben von Veranstaltungen wie der Horizontalen in Jena, dem Dodentocht sowie dem Mammutmarsch (ihrer Meinung nach der schlechteste Marsch) und Megamarsch (auch hier ist nichts gutes herauszuhören).

Der Zug setzt sich in Bewegung

Pünktlich um 19:40 Uhr versammeln wir uns vor dem DB Reisezentrum. Die noch tätigen Damen darin schauen argwöhnisch angesichts des Massenandrangs. Dabei wollen wir gar nichts von ihnen. Wolfgang Pagel, Organisator und Wanderleiter, läuft schon ganz aufgeregt durch die Menge. Ein wenig überrollt gefühlt hat er sich von der Flut der Marschgruppe EarnYourBacon. Und nervös sei er, vermutet ein von kommerziellen Veranstaltungen verwöhntes Klientel mit entsprechenden Ansprüchen. Er sollte noch feststellen dürfen, dass wir EarnYourBacons gar nicht so sind. Ob der großen Teilnehmerzahl – etwa 60 alleine für die 50 km Nachtstrecke – teilen wir uns in zwei Gruppen auf. Wolfgang wird unsere Gruppe 2 führen, während die schnelle Truppe schon zehn Minuten früher startet.

Punkt 20 Uhr starten wir mitten in Berlin. Dass wir noch mitten in der Stadt sind, merkt man vor allem an den nicht wenigen Menschen, die hier noch unterwegs sind. Während sie auf dem Weg zur nächsten Party sind und die Nacht zum Tag machen wollen, ziehen wir mit unseren Rucksäcken Richtung 50 km-Wanderung los. Unterschiedlicher kann eine Freitagnachtbeschäftigung wohl nicht sein. Einige Abschnitte der Strecke kommen mir bekannt vor. Wir überqueren den Invalidenfriedhof. Und das auch nur mit Glück, denn eine zotige Sicherheitsfrau hat bereits den Ausgang abgeschlossen und drückt ihr Unverständnis über unseren Aufzug aus. „Seid ihr blöd? Wat looft ihr ooch hier rum um die Zeit?“ Sie lässt uns dann doch passieren.

Nach 12 km merke ich langsam, dass ich „untenrum“ nur eine Hose anhab. Die flauschig warme Merino-Unterhose schleppe ich in meinem Rucksack rum. Schön blöd. Währenddessen haben sich die letzten Wolken am Himmel verzogen und geben den Blick auf die Sterne frei. Ein fast voller Mond leuchtet uns den Weg und zeigen die bösartigen Eisflächen auf, die uns immer mehr das Leben schwer machen. Um 0 Uhr taucht dann endlich das heißersehnte goldene M am Horizont auf. Flutsch! Und schon liege ich zum ersten Mal auf dem vereisten Asphalt. Zum Glück hat es den Hintern erwischt. Der ist eh gefroren.

Gerollte Pommes und Eishintern

Aufwärmen, Curly Fries in sich hineinstopfen (wie schon im letzten Jahr), lange Unterhose anziehen und eine weitere Schicht in Form meiner dünnen Daunenjacke hinzufügen. Dann geht es nach etwa 40 Minuten Pause weiter. Einige nutzen hier die letzte Chance auf Personennahverkehr und beenden ihre Polarnacht. Für alle anderen geht es weiter ins tiefste Spandau. Immer entlang des Havelufers.

An diesem schicken Kumpel ziehen alle unbeeindruckt vorbei. Wer ihn kennt, kennt einen meiner Lieblingsfilme!

An diesem schicken Kumpel ziehen alle unbeeindruckt vorbei. Wer ihn kennt, kennt einen meiner Lieblingsfilme!

Flutsch! Ich liege zum zweiten Mal. Wieder der Hintern. Ab dem Punkt sehe ich immer mal wieder den einen oder anderen durch die Gegend flutschen. Es geht aber immer ohne schlimmere Blessuren aus. Nach weiteren 10 km gibt es eine dreiminütige Trinkpause. Ja genau. 3 Minuten. Und keine mehr. Leider gibt es an der Stelle weder Klo noch Deckung. Hochziehen, heißt es jetzt. Meine Spikes, die ich bislang unangelegt rumschleppe, schmeiße ich hier endgültig weg. 3 Uhr ist es, als wir etwa 31 km hinter uns haben. Der Eiskeller, an dem das Highlight, die Temperaturmessung, vorgenommen werden soll, ist noch 12 km entfernt. 12 km, die auf keine weitere Pause hoffen lassen.

Inzwischen merke ich die Kilometer, die Kälte und meinen Drang, meine Blase zu erleichtern, deutlich. Aber die da vorne rasen einfach weiter. Wenn ich jetzt meinem Drang nachgehe, hole ich die Meute ja nie wieder ein. Wehmütig sehe ich das Straßenschild „Eiskellerweg“ an uns vorüberziehen. Der Name lässt vermuten, dass es hier direkt zum Eiskeller geht. Aber laut Route laufen wir nochmal eine riesige Schleife drumrum.

Aufholjagd – wenn die niederen Bedürfnisse siegen

In Schönwalde ist dann erstmal Schluss. Hochziehen geht nicht mehr. Rüber über die Straße hinter einen der wenigen Bäume. Ich sehe die Meute vorne von dannen ziehen. Egal. Ich laufe eh schon auf dem Zahnfleisch und habe arge Probleme, mit dem Tempo mitzuhalten. Seit dem endlosen Knochenbrecher-Gelenkhasser-Weg am am Niederneuendorfer Kanal, der entweder total vereist oder mit eisigen Pfützen überzogen war (meist aber beides), spüre ich jeden Muskel meines Körpers. Noch 4 km bis zum Eiskeller. VIER verdammte Kilometer. Ganz in der Ferne sehe ich irgendwann die Wandergruppe. Nach und nach hole ich auf. Auf dem Feld zieht sich die Gruppe auseinander, ist aber in der Dunkelheit dank der Stirnlampen wie Glühwürmchen gut zu sehen.

Km 40, 41, 42… dann sehe ich einen roten Schein und höre Geschwatze. Da sitzen sie auf einer überdachten Holzbank und strecken ihre geschundenen Beine aus. Es gibt heißen Tee vom Wanderverein. Und die sagenumwobene Temperaturmessung am Kältepol. -2 Grad hat es. Kein Rekord. Es hatte schon mal 13 Grad plus und deutlich mehr Minusgrade. Dann die ermutigende Aussage, dass wir uns im Zeitverzug befinden. Ich kann das gar nicht glauben. Und keine 10 Minuten später pfeift Wolfgang zum Aufbruch. Noch 7 Kilometer bis zum Bäcker in Falkensee.

Die Kilometer des Grauens

7 Kilometer erscheinen mir an dem Punkt wie eine unüberbrückbare Distanz. Immer wieder schaue ich auf meine GPS-Uhr. 43,12 km. 43,25. 43,5. 43,75. Jeder geschaffte Viertel-Kilometer ist ein Erfolg. Trotzdem fühle ich mich einfach nur noch elend. Bei KM 46 will ich eigentlich nur noch auf dem Boden sitzen und heulen. Das einzige, was mich davon abhält, ist der eisige Boden. Dann die erlösenden Worte: „Da hinten! Da an der Ampel ist der Bäcker!“ Von Sichtweite bis Ankunft sollte es aber immer noch ein ganzer Kilometer sein. 200 m vor dem Bäcker…flutsch! Diesmal haut es mich unsanft auf mein Knie. Mist. Das musste doch jetzt nicht sein. Tränen schießen mir in die Augen. Aus Schmerz und Verzweiflung. Keine Ahnung, was überwiegt.

Die letzten Meter zum Bäcker werden nur durch Hoffnung getragen. Hoffnung, dass es bald vorbei ist. Als ich die Tür zur Backstube öffne, fühlt sich das an, als sei ich gerade im Paradies angekommen. Alles leuchtet golden. Die Brötchen, die Lampen… Karsten und Co sind schon da. Lachen uns an. Mein erster Gang ist zur Toilette. Und ich schwöre mir: nie wieder Polarnacht! Stolz nehme ich meine Urkunde über 50 km in Empfang. „Carola Keßler überstand die 50 km…“ Das war noch nie so wahr!

Ich lasse mich auf einen Hocker sinken. Wolfgang erzählt glücklich, wie toll er unsere Truppe findet. So pflegeleicht. Keine seiner Befürchtungen hätte sich bestätigt. Wir erinnern ihn ein wenig an seine Wandergruppe früher… Das nenne ich mal ein Kompliment. Ja, wir sind schon großartig! In dem Moment frage ich mich wirklich, wie Wolfgang es schafft, in seinem Alter so etwas durchzuziehen. Ich kann nur meinen Hut… meine Mütze ziehen.

Ich beiße in mein Croissant, trinke den heißen Kaffee… und dann kommt die Erkenntnis: bis zum Bahnhof Falkensee sind es noch 1,2 km…

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