Auf dem Florida Trail Tag 4 & 5 – Alligatoren und die Axt

2.30 Uhr morgens. Der Sturm ist da. Und mit ihm das befürchtete Gewitter. Immer wieder rollt ein heftiger Donner über mein Zelt, gefolgt von Blitzen alle paar Sekunden. An sich mag ich Gewitter. Allerdings bin ich mir jetzt gerade nicht sicher, ob die Wahl, direkt unter dem mächtigen Eichenbaum zu campieren, gut oder schlecht war. Normalerweise meide ich Bäume bei Gewitter. Die Alternative auf dem freien Feld dagegen war aber noch unattraktiver. Also liege ich auf meiner Isomatte auf dem Rücken und schaue zu, wie mein Messerchen in der Dachtasche meines Zelts immer wieder hell erleuchtet wird. Neben mir in den Zelten rumort es und ich sehe Licht. Bei dem Unwetter kann niemand von uns schlafen.


Am Ende überleben wir die Nacht, ohne vom Blitz getroffen zu werden. Als Warren mir aber zum Frühstück eine Aufzeichnung des Radars zeigt, wird mir schon ein wenig übel. Das Tornado-Gebiet zog nur haarscharf an uns vorbei. Da hätten wir aber alle blöd aus der Wäsche geguckt. Die Moskitos sind um 6 Uhr morgens auch schon quicklebendig und sauglustig. Kein Wunder, sie hatten ja wegen des Winds am Abend nix zu beißen bekommen. Entsprechend zügig packen wir die klatschnassen Zelte zusammen und machen uns – wie jeden Morgen – um halb acht auf die Socken.

Das Wetter ist heute ideal für unser Vorhaben. 32 Kilometer sind es bis zum Kissimmee Prairie Preserve Campground, wo eine heiße Dusche und richtige Klos winken. Da der Zeltplatz immer gut ausgebucht ist, hatte ich schon vor einer Weile vorreserviert und die beiden Jungs jetzt eingeladen, auf meiner Site mit zu zelten. Selbstverständlich bleiben die Füße auch heute nicht trocken. Die Freude über eine frisch gezimmerte Holzbrücke ist nur kurz, denn durch die ordentlichen Regengüsse der letzten Nacht schwimmen die Balken einfach nur auf der Wasseroberfläche und versinken, sobald wir sie betreten.

Abgekürzt

Zur Tageshälfte verlassen wir die schönen Palmen-Eichenwälder und finden uns in der Prärie wieder. Warren hat anscheinend Hummeln im Hintern und zieht davon, während Jason und ich vor uns hin schwatzen. Rund eine Stunde später finde ich Warren am verabredeten Pausenplatz wieder.

„Wie bist du denn bitte durch das hüfthohe Wasser gekommen?“ fragt er mich. Ich schaue an mir runter, bis auf die Füße trocken.

„Welches hüfthohe Wasser?“ „Na da, wo ich sogar mein Handy in die Luft halten musste, damit es trocken bleibt. Das wurde ja immer tiefer!“

„Wo zur Hölle warst DU denn?“

Ich überlege. Eigentlich konnte man sich doch gar nicht verlaufen. Im Geiste gehe ich die Karte durch… und fange an zu lachen. In Guthooks wird tatsächlich an einer Stelle explizit darauf hingewiesen, diese „Abkürzung“ durch den Sumpf nicht zu nehmen, da es hier „heavy alligator activity“ gibt. Dass ich jetzt darüber lachen kann, liegt vor allem daran, dass es Warren gut geht. Die Sache hätte aber auch echt schief gehen können. Jason und ich waren den u-förmigen Umweg über eine schöne Holzbrücke gegangen. Warren hatte die Abzweigung einfach verpasst.

Der letzte gemeinsame Abend

Die restlichen Kilometer ziehen sich wie Kaugummi. Elf Kilometer lang geht es nur geradeaus. Ohne ein Ende in Sicht. Kurz nach 17 Uhr kommen wir am Campground an und schlagen unsere Zelte auf der Astronomy Site auf. Hier soll man herrliche Sicht auf die Sterne haben. Blöderweise ist heute ausgerechnet Vollmond. Mit einem Pärchen, das gerade von Kalifornien nach Florida gezogen ist, teilen wir uns eine der für Wanderer wertvollen Picknickbänke und genießen den traumhaften Sonnenuntergang über der Prärie. Geduscht wird heute nicht mehr.

Abschied

Frisch geduscht und mit einer Alligatorträne im Auge verabschiede ich mich am nächsten Morgen von Warren und Jason. Eilig habe ich es heute nicht, es sind ja nur rund 24 Kilometer zu schaffen, drum zögere ich den Aufbruch bis 9.30 Uhr raus.

In der Prärie gibt es wenig Schatten und so nehme ich jeden Baum für eine kurze Pause mit, um abzukühlen. Auf einem Zeltplatz, der direkt am Trail liegt, schreibe den Jungs eine kleine Notiz ins Trailregister hinein – die sie nie lesen werden, weil sie am Platz vorbeirauschen. Weil ich niemanden mehr zum Quatschen habe, labere ich in meine Kamera, in einen leeren Schildkrötenpanzer und mit einem Kuhkälbchen, das ganz allein durch die Gegend streunt. Aber heute ist ein guter Tag, denn ich sehe immerhin drei Alligatoren, die nicht entweder irrsinnig weit weg sind oder nur die Augen rausgucken lassen.

Seltsam

Ein wenig verwirrt lässt mich die Beschilderung an der Schleuse zurück, die ich nicht umgehen kann. Ein Schild verbietet mir ausdrücklich, das Gelände zu betreten. Ein anderes sagt, Wanderer sollen auf den roten Knopf drücken, damit die Tröte ertönt. Laut dem dritten sollte ich meine Durchquerung zu Bürozeiten vorab anmelden. Wohlgemerkt: diese Schilder stehen auf der anderen Seite, nachdem ich schon bedenkenlos einmal durch das Schleusengelände durchmarschiert bin. Kurz danach finde ich einen schwarzen BH an einen Drahtzaun gebunden. Die Geschichte dazu gibt es später im Video…

Es ist nun nicht mehr weit bis zum Ende meines section hikes. Obwohl ich so spät losgetigert bin, bin ich trotzdem eine gute Stunde schneller als geplant, daher lege ich an einem anderen Zeltplatz noch eine weitere Pause ein. Idyllisch klappern die Knochen im Wind, die jemand als Windspiel an einen Ast gebunden hat. Man merkt, ich komme der Zivilisation wieder näher.


Die letzte Nacht will ich auf dem einladend klingenden Rattlesnake Hammock Campground verbringen, meinem „Extraction Point“ wie es die Militärjungs so schön sagen. Als ich dort aber am frühen Nachmittag ankomme, steht da schon ein Zelt. Auf den ersten Blick völlig normal. Je länger und näher ich mir die Szenerie aber ansehe, desto mulmig wird mir. Zeltpackung und Plane liegen verstreut in der Gegend herum. Daneben etliche Bierdosen. In der Picknickbank steckt ein rostiges Messer, darauf eine Art Gasbrenner, der sicher nicht zum Kochen gedacht ist. Neben einem kleinen Jagdhocker liegt die Packung eines Luftbettes, in der auch etwas steckt. Ein Schraubenzieher? Daneben im Dreck ein Hammer und noch etwas weiter weg eine Axt. WTF?


Da ich keine Lust habe, mit dem Hammer erschlagen, mit dem Messer geschnetzelt und dem Brenner geröstet zu werden, beschließe ich, mich vom Acker zu machen – und nehme die Axt mit. Wer weiß, wo die Besitzer gerade sind. Auf dem Weg zur sandigen Zufahrtsstraße gebe ich über meinen Satellitenmessenger meinem „Abholservice“ durch, dass ich an der Straße warte, weil auf dem Campground seltsame Gestalten sind. Im selben Moment erhalte ich die Nachricht: „Sei vorsichtig, der Platzwart sagt, da sind seltsame Gestalten.“ Mein Instinkt war also nicht so falsch. Während ich im Sand sitzend warte, höre ich auf einmal hinter mir laute Motorengeräusche aus der Richtung des Campgrounds. „Ach du sch…, jetzt kommen die und sehen, dass ich ihre Axt geklaut habe!“ In hohem Bogen werfe ich die Axt in das gerade mal knöchelhohe Gestrüpp und stehe auf. Quasi zeitgleich sehe ich am Horizont meine Rettung nahen.

Mit Rucksack und Axt hüpfe ich zu meiner besseren Hälfte ins Auto und wir fahren zum Platzwart, dem ich die Bilder zeige. Der will dem Sheriff Bescheid sagen, damit der sich mal umguckt. Die Geschichte wird er am nächsten Tag Warren und Jason brühwarm zum Besten geben. Zum Abschied empfiehlt er uns einen anderen schönen Platz in der Gegend.

Und so gehen fünf Tage auf dem Florida Trail mit mehr Aufregung als vermutet, aber doch im schönsten Mondenschein am Lagerfeuer zu Ende. Es wird nicht der letzte Trip hier draußen sein.